Full text: Für Unter-Tertia (Klasse III der Realschulen) (Prosaheft 5)

152 
Prosaheft V. 
du staunen mußt. Vom Dollart hast du schon gehört. Ursprüng¬ 
lich betrug seine Fläche weit über 400 Quadratkilonieter. Jetzt über¬ 
nimmt er nicht mehr die Hälfte dieses Raumes ein, nach und ttach wird 
er ganz verschwinden, und wo gegenwärtig seine Fluten noch brausen 
und der Fischer seine Netze ausspannt, da wird einst der Landmann den 
Acker bestellen, da werden Dörfer und vielleicht Städte aufwachsen. Du 
denkst: Es ist gut prophezeien, denn wer wird's erleben? O, das 
werden hoffentlich noch recht viele erleben und der Leser und der 
Schreiber auch, daß, wenn auch nicht der ganze Dollart, so doch ein 
beträchtlicher Teil desselben in Ackerland verwandelt wird. Vor etwa 
35 Jahren floß das Wasser der Ems unmittelbar an der Stadtmauer 
Emdens hin. Jetzt aber muß man eine halbe Stunde gehen, wenn man 
von der Stadt aus den Dollart und die Ems erreichen will. Und was 
für Boden ist es, den der Fluß hier abgesetzt hat! Willst du Saaten 
sehen, daß dir das Herz im Leibe lacht, obgleich die goldenen Batzen 
zur Erntezeit nicht in deine Taschen fließen werden, willst du Gemüse¬ 
felder sehen, die jährlich zwei- und dreimal reiche Früchte tragen, so 
komm in das Land, das die Ems hier gebaut hat, in unsere Polder! 
Und vor den erst vor sechs Jahren gezogenen Deich hat sie schon wieder 
ein weites Schlammseld gelegt, welches sich von Jahr zu Jahr erhöht 
und in nicht ferner Zeit ebenfalls eingedeicht werden kann und dann 
groß und fruchtbar genug sein wird, ein ganzes Dorf, ja vielleicht einige 
Dörfer reichlich zu ernähren. 
Aber woher hat der Fluß diesen Reichtum an fruchtbarer Erde, 
fragst du, und findet man diesen auch an anderen Flußmündungen? 
Wie fest die Berge auch sind, dennoch können sie dem Zahne der 
Zeit nicht widerstehen. Das Wasser dringt in die Ritzen der Felsen 
ein, gefriert, dehnt sich dabei aus und sprengt Felsstücke los. Luft und 
Sonne wirken fortwährend zerstörend auf die Oberfläche des harten 
Felsbodens ein und verwandeln alljährlich eine dünne Schicht desselben 
in lockeres, fruchtbares Erdreich. Da komnrt dann einmal ein mächtiger 
Regen, brausend stürzt das Wasser den Abhang des Berges hinunter 
und führt die lockere Erde und die losgesprengten Steine mit sich. Der 
Bach trägt den Raub dem Flusse zu, und dieser wälzt ihn mit sich, bis 
er im Tieflande anlangt und sich in den Buchten ausbreitet, wo er 
dann, altersschwach geworden, die Beute nicht nrehr tragen karrn 
und sinken läßt. Auf dem langen Wege haben sich die mitgeführterr 
Steine so viel aneinander und an dem Boden des Flusses geriebeu, 
daß sie gänzlich abgeschliffen sind, wie du an ben runden und glatten 
Rollkieseln deutlich sehen kannst. Dadurch aber haben sie den Ge¬ 
halt an fruchtbarer Erde vermehrt, welcher jetzt dem Tieflande zugute 
kommt. 
Diese Sinkstoffe sind es aber nicht allein, die den Aufbau der 
Polder ausführen. Das Wasser der Flüsse wie auch das salzige Meer
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.