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schaftsscenen, voll idyllischen Friedens, und ruft wohl aus: diesen
Fleck Erde möcht' ich zur Heimat erwählen, hier meine Hütte bauen,
hier meine Tage beschließen! Er bedenkt nicht, daß alles Idyllische
fich schnell erschöpft und geistlos wird, daß in diesen hohen Gegenden
bald der Winter kommt, der das Tal mit Schnee verschüttet und
selbst den Wasserfall in starrende Eisnadeln verwandelt. Dann, in
den dunkeln, kalten Monaten, lebt der Mensch in hölzernen, mit
Schnitzwerk und alten geistlichen Sprüchen verzierten, braunen
Wohnungen und trägt Sorge, das Dach wohl mit Steinen zu be—
lasten, daß es der Sturm, der in diesen Berglöchern fürchterlich rast,
nicht mit sich fortführe. Die Schweiz ist das Land sauberer, ordent—
licher, wohlberechneter Hauswirtschaft, die Heimat knochiger, realistisch
denkender Menschen, die schon frühe den romantischen Adel und mit
ihm manchen idealen Zug und alle Phantasiegebilde unter sich aus—
gerottet und sich bürgerlich-republikanisch, nach Gemeinden und Kan—
tonen, eingerichtet haben. Hart und gewaltsam sind in diesem Lande
auch die Hochgebirge aufgetürmt, hoch oben öde und sumpfige, mit
kurzem Gras bewachsene, bald geneigte, bald in sich mulden—
förmig vertiefte Flächen tragend; von ihren obern Kanten laufen
die traurigen Halden, lange Streifen grauen Steingerölles, von den
Schneestürzen hinterlassen, ins Tal; Nebel und Wolken hängen
an den Flanken und Steinrippen wie die Wolle am Bauch des
Widders, senken sich zu den schwarzen Fichtengürteln nieder und
steigen wieder verhüllend und wogend aufwärts zu den kalten Schnee—
kuppen. Ein Bild form- und schrankenloser Gewalten, beängstigende
Zeugen uralter elementarer Kämpfe und Naturrevolutionen!
Von diesem weißen und grünen Winterlande sieht man sich Tags
drauf, dort wo sich der Abhang der Seealpen zum mittelländischen
Meere niedersenkt, in ein braunes Sonnen- und Lichtland, in ein
Land, wo der Naturgeist in Formen gebunden ist, versetzt. und fühlt
jense.3 der See die Gegenwart der lechzenden, farbenglühenden Wüste.
Hier t das Himmelsgestirn schon gewaltig, nach dem sich Goethe
sehnte und dem zu Ehren er auf dem Wege zwischen Bozen und
Trient jenes Bettelkind, dem der heiße Boden die Füße verbrannte,
mit in seinen Wagen nahm. Hier ist das wandelbare Wetter, dessen
Launen wir Nordländer fürchten, schon in das Gesetz der Jahreszeiten
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