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und unterdrückt kaum einen Schreckensschrei, als er dieselbe dunkle Masse
von vorhin sich unter der Oberfläche des Wassers bewegen sieht. Ein
langer Phosphorstreifen folgt wie ein glühendes Meteor ihrem Kielwasser.
Großer Gott, es ist wirklich ein Hai!
In diesem Augenblicke beginnt der Wind stoßweise zu wehen. Dunkle
Wolkenmassen verdecken den Mond, der bisher noch eine gewisse Helle
verbreitet hat, und um die Verwirrung vollständig zu machen, scheinen die
Leute nicht mehr den Befehlen des Kadetten gehorchen zu wollen. Sie
scheuen sich nicht, zu murren und ihm Vorwürfe zu machen, daß er sie in
das Unglück gebracht habe. Doch Vogels ganze Willenskraft ist wach¬
gerufen, er fühlt das Kritische seiner Lage und darf nicht wanken. „Ruhe!"
befiehlt er gebieterisch, „rudert ordentlich und haltet Schlag, oder ich bringe
euch alle vor ein Kriegsgericht, wenn wir an Bord kommen." „Ich möchte
wohl wissen, wann das ist!" äußert in höhnischem Tone, wenngleich etwas
eingeschüchtert, der Mann am vordern Riemen, doch unwillkürlich fallen
die Riemen wieder in Tdkt; der Gehorsam ist erschüttert, aber doch nicht
geschwunden.
Da zuckt ein heller Blitz am Horizonte auf, der Donner eines Schusses
folgt ihm und rollt in dumpfem Echo über die Wasserfläche. „Hurra das
Schiff!" jubelt die Bootsmannschaft; augenblicklich ist die Disziplin wieder¬
gekehrt, und die Leute rudern mit äußerster Anstrengung der Richtung zu,
aus welcher der Schuß ertönte. Bald sind sie in Schweiß gebadet, doch
das Boot scheint an den Ort gebannt zu sein und nicht von der Stelle zu
kommen. Wiederum ist nichts zu sehen als die unendliche, weglose Meeres¬
fläche, nur Wasser und Himmel überall.
Jetzt rauscht abermals ein donnerndes Tosen über das Meer, doch
diesmal kommt es von luvwärts. Das bis dahin ziemlich ruhige Wasser
erhält plötzlich eine wallende Bewegung, und ein orkanähnlicher Windstoß,
eine Wolke von Gischt vor sich hertreibend, stürmt auf das Boot los. Die
Ruder sind überflüssig geworden, das Boot fliegt dahin vor der Bö, wie
ein welkes Blatt vor dem Herbststurme. Seiner Besatzung bleibt nichts
übrig, als zu erwarten, was Gott über sie verhängt. Der Schaum der
Wogen spritzt hoch empor und verdunkelt wie ein Nebel die Luft noch
mehr. Der Ozean kocht, und am Himmel ballt sich schwarzes Gewölk zu
drohenden Massen. Der Kutter ist halb mit Wasser gefüllt und kann
nur mit größter Mühe flott gehalten werden. Jeder erwartet das augen¬
blickliche Sinken.
Der qualvolle Zustand des Todeskampfes erschöpft die letzten Kräfte
der Leute; sie fühlen, daß es bald mit ihnen zu Ende gehen muß. Ihre
irrenden Blicke starren bald auf die schäumenden Wogen, bald auf den
düstern Himmel, der ihnen keine Rettung verheißt Ihre Gesichter, die