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soll er denn Besseres tun? Und wie soll er denn da patriotischer wir¬
ken?" — Und umgekehrt: Was sind Tatsachen ohne leitende Ideen?
Was wäre Bismarcks ganze Realpolitik, wenn sie nicht wäre getragen
worden von den hehrsten, heiligsten Ideen? Ist denn etwa die Idee
etwas Unfruchtbares, praktisch Unnützes? Mit Nichten! Was stählt
die physische Kraft, was belebt den Mut, was gibt Ausdauer, Geduld?
Was anderes als die Idee, das Ideal?
Was schwebte dem großen Realpolitiker vor? Die Idee: Preußen,
dein herrliches Preußen soll stark und mächtig werden, dein herrlicher
König soll ein freier Souverain sein, unabhängig von Österreich und
Frankreich! Und dann weiter: Was die Besten der Nation erhofften in
langem, herbem Harren, das soll Wirklichkeit sein, die Brüderstämme
sollen zusammengeschweißt werden!
War Bismarck nur Realist? Nein! Auch ihm standen Gott, Natur,
Vaterland, Freiheit, Sittlichkeit als Ideale leuchtend vor der Seele,
vor einer Seele voll Leidenschaft und Kraft.
Tiefe Niedergeschlagenheit bemächtigte sich seiner, ja manche Stunde
war es ihm, als ob sein und anderer Menschen Dasein ziellos sei und
unersprießlich, vielleicht nur ein beiläufiger Ausfluß der Schöpfung, der
entsteht und vergeht wie Staub vom Rollen der Räder. Dann wirkten
verschiedene Umstände zusammen, um ihn bem verlorenen Glauben zu¬
rückzugewinnen. Es war nicht nur die zum Grübeln anregende Einsam¬
keit und Langeweile auf seinem väterlichen Gute Kniephof, die innere
Leere und Unbefriedigtheit, nicht nur die Freundschaft mit dem frommen
Moritz von Blankenburg auf Cardemin in Pommern, der Verkehr mit
dessen Nachbar und späterem Schwiegervater, mit Adolf von Thadden,
in dem pietistisch-herrnhuterisch angehauchten Triglaffschen Hause, wo
ihn unter zufriedenen, nach außen hin vorbildlich wirkenden Menschen
ein bisher ungeahntes Wohlsein umfing, sondern auch besondere er¬
schütternde Erlebnisse, über die uns keine nähere Kunde geworden. Eifrig
las er in der Bibel, wartete in der Stille auf die Erleuchtung, und
wie einst Luther durch den plötzlichen Tod eines Freundes, wie der
junge Goethe durch eine schwere Erkrankung im Innersten durchgerüttelt
und zum Glauben zurückgeführt wurde, so kam es über den jungen
Bismarck bei der Nachricht tödlichen Siechtums der Freundin in Car¬
demin, der jungen Frau von Blankenburg, wie eine Eingebung: ohne
Grübeln über die Vernünftigkeit desselben, riß sich ihm wieder das
inbrünstige Gebet vom Herzen los.