schäften eine besondere Färbung an, wenn sie auf dem Hintergrund
der Persönlichkeit eines Sokrates aufliegen, in der die übelste Folge
der Demokratie, die Unfähigkeit des Individuums, sich von der Masse
zu emanzipieren, eine kräftige Reaktion hervorgerufen hat. Je raffi¬
nierter die politische Beredsamkeit, die immer eine Sumpfblüte ist, die
Kunst ausbildete, die Masse zu überreden, um so mehr bestand So¬
krates, der geborene Dialektiker, darauf, daß man ihn von Mann zu
Mann im Gespräch widerlegte, und um so rücksichtsloser jagte er jeden
in die Enge, der ihm den Popanz des allgemein gültigen Meinens vor¬
hielt. Und hinter der anmutigen, neckischen Oberfläche seiner ironischen
^elbstzeugnisse lauerte das unerbittliche Streben, die Wahrheit heraus¬
zubekommen, die er selbst nicht wußte. Er war durchaus nicht zufrieden
damit, der Überlegene geblieben zu sein, sondern wollte in der Seele
dessen, dem er mit seinen Fragen keine Ruhe ließ, den Stachel des
Zweifels zurücklassen, ob es anging, über die wichtigsten Dinge im
Widerspruch mit sich selbst selbstzufrieden zu verharren.
Man hat Sokrates den größten Sophisten genannt; richtiger wäre
es, ihn den größten Rationalisten unter allen damaligen Vertretern
der rationalistischen Aufklärung zu nennen. Die Frage nach der Lehr¬
barkeit der Tugend fand er vor: die Adelsethik verneinte sie, die
Aufklärung mußte sie bejahen, weil es ein Postulat der Demokratie
ist, daß jeder es lernen kann der erste zu sein, und weil jeder Ratio¬
nalismus die Wirkung der intellektuellen Erkenntnis überschätzt. Die
Sophistik war bildungs- und kulturstolz; es ist bezeichnend, daß sie
das Wort „ungebildet" ausprägt, um das Unsittliche zu bezeichnen;
nach ihr kann und muß jeder die Sittlichkeit lernen, der in einem
zivilisierten Staat lebt. Anderseits wurde das immer schwieriger, je
schärfer die Aufklärung die überlieferten sittlichen Begriffe auf ihr Funda¬
ment untersuchte. Hohe Stellung und sittlicher Vorzug waren für die
Adelsethik identisch. Die Sophisten wollten eine neue Kunst lehren,
die den Wissenden in den Stand setzte, der erste zu werden, und sind
sich dabei gar nicht immer bewußt gewesen, daß in dem Tugendbegriff,
den sie aus der Adelsethik übernahmen, ein doppeltes, das äußere
Ansehen und die innere Tüchtigkeit, schlummerte. Da sie aber die Über-
kegenheit der Kritik über den Autoritätsglauben ausnutzten, um per¬
sönlich zu imponieren, nicht um Neues zu schaffen, so mußte diese Kritik
bald darüber aufklären, daß herrschen und tugendhaft sein zwei ver¬
schiedene Dinge sind, und die alte Erkenntnis, daß das erste ohne das