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3 Die Linde pflanzte mein Vater, als ich geboren war,
Sie grünt' und blüht' alljährlich schon über siebzig Jahr;
Mein Weib am Hochzeittage — sie war ein junges Blut —
Steckt' mir von diesem Baume ein Zweiglein an den Hut.
4. Viel Gäste tät ich laden, zu enge ward das Haus,
Hier unter dieser Linde, da hielten wir den Schmaus;
Ein Sohn ward uns geboren, da gab sich's viel zu freun.
Und seinen Namen grub ich in diese Linde ein.
5. Die Linde wuchs und prangte, der Knabe ward ein Mann;
Bei Leipzig in der Ebne stand er im Heeresbann;
Zum Kampfe ziehend trug er zwei Lindenzweig' am Hut;
Bei Leipzig an den Wällen verrann sein junges Blut.
6. Nun hängt in unsrer Kirche die Tafel an der Wand,
Da steht: „Franz Helm, gestorben für König und Vaterland".
Mein Weib und ich, wir weinten viel um den guten Franz,
Wir wanden um die Tafel frisch einen Lindenkranz.
7. Seht, unsre besten Tage, die waren nun dahin;
Der Franz lag meiner Alten zu sehr in Herz und Sinn.
Sie konnte sich nicht mehr freuen, ich konnt' es auch nicht mehr,
Gott hat sie heut erlöset von Jammer und Beschwer.
8. Seht, Nachbar, nun beginn' ich die Linde umzuhaun;
Ich will für meine Alte draus einen Sarg erbaun;
Ich hab' den Baum gemessen, wohl hält er Holz zu zwei'n,
Bald zimmr' ich auch den andern, und ihr — legt mich hinein."
F. C. Honcamp.
114. Der Föhn.
Im ganzen Bergrevier der Schweiz ist mit Ausnahme weniger
Gebiete kein Wind bekannter und von großartigerer Wirkung als der
Föhn. Es ist nicht ein Lokal-, sondern ein allgemeiner, europäischer
oder vielmehr afrikanischer Wind. Wie die Quellen des kalten Nord¬
windes wahrscheinlich die Nordpolareisgebiete, die der feuchten, regen¬
bringenden Westwinde der Atlantische Ozean, so sind die der heißen Süd-
und Südwestwinde (Föhn) die brennenden Sandwüsten Afrikas. Nun
scheint zwar der Zug der Alpen uns gegen diese zu schützen; aber sie
verstärken dieselben in der Tat. Ist der heiße Luftstrom über den
Alpen angelangt, so möchte er wohl über diese und ihre Täler hoch
hingehen; aber der Schnee kühlt einen Teil seiner Randwellen ab, so
daß er sofort schwerer wird und in die Täler niederstürzt. Dies ist
dann um so mehr der Fall, wenn die Gletscher am kältesten sind und