sie bei unerwartetem Vorfall ausdrücken wollen: Hab' ich's nicht ge¬
sagt? Habe ich's nicht immer vermutet? — Simon sitzt höchst
würdig am Ende des Tisches, wir sehen daher dessen ganze Figur; er.
der älteste von allen, ist reich mit Falten bekleidet, Gesicht und Bewe¬
gung zeigen, er sei betroffen und nachdenkend, nicht erschüttert, kaum
bewegt.
Wenden wir nun die Augen sogleich auf das entgegengesetzte Tisch¬
ende, so sehen wir Bartholomäus, der auf dem rechten Fuß, den
linken übergeschlagen, steht, mit beiden ruhig auf den Tisch gestemmten
Händen seinen übergebogenen Körper unterstützend. Er horcht, wahr¬
scheinlich zu vernehmen, was Johannes vom Herrn ausfragen wird;
denn überhaupt scheint die Anregung des Lieblingsjüngers von, dieser
ganzen Seite auszugehen. Jakobus der Jüngere, neben und hinter
Bartholomäus, legt die linke Hand auf Petrus' Schulter, sowie Petrus
auf die Schulter Johannis, aber Jakobus mild, nur Aufklärung ver¬
langend, wo Petrus schon Rache droht. Und also wie Petrus hinter
Judas, so greift Jakobus der Jüngere hinter Andreas her, welcher als
eine der bedeutendsten Figuren mit halbaufgehobenen Armen die flachen
Hände vorwärts zeigt, als entschiedenen Ausdruck des Entsetzens, der
in diesem Bilde nur einmal vorkommt, da er in andern weniger geist¬
reich uub gründlich gedachten Werken sich leider nur zu oft wiederholt.
Wolfgang von Goethe.
132. Des Sängers Fluch.
1/Es stand in alten Zeiten ein Schloß so hoch und hehr,
_ Weit glänzt' es über die Lande bis an das blaue Meer,
Und rings von duft'gen Gärten ein blütenreicher Kranz,
Drin sprangen frische Brunnen im Regenbogenglanz.
2. Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich,
Er saß auf seinem Throne so finster und so bleich;
Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut,
Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.
3. Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar,
Der ein' in. goldnen Locken, der andre grau von Haar;
Der Alte mit der Harfe, der faß auf schmuckem Roß,
Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoß.
4. Der Alte sprach zum Jungen: „Nun sei bereit, mein Sohn!
Denk unsrer tiefsten Lieder, stimm'an den vollsten Ton,
Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz!
Es gilt uns heut, zu rühren des Königs steinern Herz