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6. Dort sitzt der König ernst im Throne,
In dunkelpurpurnem Gewand,
Auf stolzem Haupt die goldne Krone,
Das blanke Schlachtschwert in der Hand.
7. Vor ihm, gebückt, in schweren Banden,
Ein Mann, dem Qual im Antlitz liegt,
Einst Herrscher von gewalt'gen Landen,
Jetzt von des Königs Arm besiegt.
8. Und ringsumher in weitem Kreise
Der Rät' und Richter hohe Schar,
Der Hofnarr, Ritter und der Weise
Im Goldwams, Panzer und Talar.
9. Da tritt mit sich'rem, ruh'gem Gange
Der schlichte Sänger vor den Thron:
„Herr, wollest horchen meinem Sange
Und meiner guten Harfe Ton."
10. Der König drauf mit finst'rem Blicke,
Ter flammend schießt nach seinem Feind:
„Ja, singe mir von Falsch und Tücke,
Von allem, was das Herz versteint.
11. Denn eben will ich schwer mich rächen
An dem, der mir mein Land zerstört/
Ein hartes Urteil will ich sprechen,
So hart, wie's nie die Welt gehört."
12. Der Sänger zu dem König wieder:
„Herr, gern erräng' ich deine Gunst,
Doch kenn' ich keine harten. Lieder;
Der Sang ist eine milde Kunst.
13. Auch sing' ich nicht vor dieser Menge,
Mein Lied gehört für dich allein,
Entfliehen laß uns dem Gedränge,
Dann mag ich gern dir willig sein."
14. Da hebt der König sich vom Throne,
Er öffnet leis' ein still Gemach,
Er winkt dem schlichten Liedersohne,
Der folgt ihm rasch und freudig nach.