Meine Miene war ernst geworden. Ich bedachte in diesem Augen¬
blicke nicht, daß ein Kind neben mir schritt. Die kleine Emma fing
über meine strengen Worte an zu weinen. Aber ich beruhigte sie
gleich wieder. Und in den Wimpertränchen blitzte die Sonne.
Nun waren wir an Ort und Stelle. Es war ein kleines, ein¬
stöckiges Gebäude. Ein ungemeines Gewncher gelber Rosen umspann
die ganze Vordermauer.
Ich trat mit dem Mädchen hinein. Und von dem Augenblicke an
kam es mir vor, als hätte ich von jeher zu dieser Familie gehört. Ich
fühlte mich als Familienmitglied. Nichts schien mir an und in dem
Hause und bei den mir bisher gänzlich unbekannten Leuten fremd.
Und sonderbar, auch ich schien diesen guten Menschen durchaus nicht
fremd zu sein.
Als die kleine Emma und ich eintraten, merkte ich an allem
sofort, daß ein Schwerkranker, ein Sterbender in der Nähe weile. Die
Haustürglocke war abgestellt, über den Treppenstufen lagen Tücher
und Teppiche. Eine alte Wärterin kam mit besorgter Miene ans dem
Keller. Sie trug ein warmes Getränk; zuweilen lüftete sie den Deckel
und pustete hinein. Sie ging hinauf. Der Arzt, ein junger Mann, kam
von oben. Er blieb bei mir stehen und schüttelte den Kopf: „Es ist
bald aus." Dann verschwand er durch die stumm gewordene Haustür.
Nun nahm ich der kleinen Emma den Stock ab. Sie faßte mich
an der linken Hand. Und so stiegen wir beide hinauf. Ich öffnete
leise eine Tür, die mir von dem Kinde bezeichnet war. Hier fand
ich den Vater. Er stützte den Kopf in die Linke. Er weinte nicht,
aber er war zum Umsinken gebeugt. Ich zeigte ihm das Bäumchen.
Er nieste nur, dann wies er auf eine Stubentür. Sie war angelehnt,
ich schob sie auf.
In einem matterhellten Raume, in den aber die Sonne einige
Strahlen schicken durfte, lag in einem Bett an der Wand ein etwa
zwanzigjähriger, bartloser Mann. Die Wangen waren ihm eingefallen.
Er wandte, ohne den Kopf zu drehen, die Augen zu uns, schwer, mit
Anstrengung. Und ein himmlisches Leuchten, wie ich es nie bei einem
Menschen beobachtet habe, drang aus seinen Augen, so sanft, so liebe¬
voll, so stillselig, so zufrieden. Er hatte die schöne Blume entdeckt.
Und mm wußte ich, weshalb ich an dem ganzen Tag eine solche
Unruhe gehabt hatte. Ich konnte, ich durfte nicht zu spät kommen,
um einem Sterbenden die letzte Freude zu bringen.
Seine alte Mutter lag auf den Knien vor seinem Lager. Er
hatte ihr die Linke überlassen, die sie immer wieder mit Küssen bedeckte.
Zu Häupten stand, der würdige Pastor des Ortes. Er hielt die Hände
über die Kopflehne des Bettes gefaltet. Mit kurzen Pausen betete
er laut, die Stirn jedesmal auf seine Hände senkend.