Full text: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

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keinen Baum, höchstens etliche Weiden, Heckenkirschen-, Alpenrosen- 
und Erlenbüsche hervorbringen oder auch ganz tot zwischen grauen 
Geschiebrevieren und Felsenwänden lagern, haben ein düsteres und 
tief-ernstes Ansehen. Den größten Teil des Jahres deckt sie Schnee 
und Eis. Mühsam und langsam taut der Frühling oder Sommer 
sie auf und kleine Felder oder Blöcke von Eis schwimmen noch 
auf ihnen, wenn schon die Alpenrosenbüsche auf ihren Felsen 
freudig die Glockensträuße im Winde wiegen. 
Wahrscheinlich haben die meisten muldenförmigen Einsatt¬ 
lungen der Berg- und vielleicht auch der Alpenregion früher als 
Becken solcher stillen, grünen Seen gedient. Diese sind mit der 
Zeit abgeflossen. Das Gebirge hat seine Schicksale wie das Volk. 
Mit leisem Zahne sägen die abfließenden Wasser jene Querriegel, 
welche das Seebecken von der nächsten unteren Talplatte abtrennen, 
durch und entleeren sich nach den tieferen Flußgebieten. Wo diese 
Bergriegel und Querkämme zu dick und fest sind, lehnt sich der 
See dicht an sie, während er sich immer mehr von den Matten 
des Hintergrundes zurückzieht. Welche Überraschung für den Wan¬ 
derer, der aus der Tiefe den Querberg hinansteigt und plötzlich 
das ruhige, kühn dekorierte Becken vor sich sieht! Viele Seen 
haben keinen sichtbaren Abfluß; ihr Wasser fällt in einen oft 
durch kreisende oder wirbelnde Wellenbewegung angezeigten Trichter, 
arbeitet sich kürzere oder längere Zeit durch die Kanäle im Innern 
des Gebirges fort und springt oft in großer Entfernung wieder 
zutage. Manche Seen haben auch keinen sichtbaren Zufluß und 
nähren sich von unterirdischen Quellen. Beide Erscheinungen ver¬ 
mehren das geheimnisvolle Dunkel, das über diesen stillen Fluten 
schwebt, und sind den abenteuerlichen Sagen, welche die Berg¬ 
bewohner an sie knüpfen, besonders günstig. 
38. Tirol. 
Aus „Tirol und Vorarlberg" von Max Haushofer. 
Das Land Tirol! 
Wer den Namen hört und die Augen schließt, dem ersteht 
vor dem inneren Blick ein großartiges Bild irdischer Meister¬ 
schönheit: grüne, von mächtigen, wilden Bergströmen durchrauschte 
Täler mit alten Städtchen und mit friedsamen Dörfern, die sich 
an die Wiesenhänge lehnen, und über den Dörfern dunkle Waldung, 
aus deren schattigem Kranz weiße, graue und rote Felsmauern 
ragen, über diesen Felszinnen aber ein flimmerndes, funkelndes 
Dach von Eis und ewigem Schnee, ein Dach, über dessen schwindlig 
steile Schneiden und Hörner jahrhundertelang nur die Geister der 
Sage mit Elfenfüßen schritten, bis es seine Geheimnisse den kühnen 
Pfadfindern des 19. Jahrhunderts erschloß.
	        
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