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fähig: hatte er sich in der Jugend häufig von andern leiten lassen, so
vertraute er in reifern Jahren seiner staatsmännischen Erfahrung und
Einsicht allein. Mit großem Fleiße wandte er sich allen Geschäften seines
umermeßlichen Reiches zu, verkehrte mit den verschiedensten Menschen
und erlangte dadurch eine umfassende und von ihm wohl benützte
Menschenkenntniß. Keine Entfernung scheute er, wenn seine Zwecke von
ihm eine weite Reise heischten, wie er denn auch bei seiner Abdankung
rühmend von sich bemerkte, daß er neunmal Deutschland, sechsmal Spa—
nien, siebenmal Italien, zehumal Flandern, viermal Frankreich, zweimal
England und zweimal Afrika besucht habe. Seine unermüdliche Thätig—
keit und Beweglichkeit kam der Fülle der Entwürfe gleich, die ihn unab—
lässig beschäftigten. Gleich Franz J von Frankreich, wenn auch in gerin—
gerem Grade, beurkundete Karl ein Interesse an Kunst und Wissenschaft,
er las mit Vorliebe historische und politische Schriften, er soll auch
Denkwürdigkeiten verfaßt haben, die aber nicht auf die Nachwelt
gekommen sind. Großmuth und Freigebigkeit lagen ihm jedoch fern und
er erinnerte darin an seinen Großvater Ferdinand. Mit Verwunderung
erzählte man von ihm, daß er, als er einmal vom Regen überrascht
wurde, sein goldgesticktes Baret unter dem Mantel barg, um es vor
Nässe zu beschützen und sich ein altes holen ließ.
(Charakteristik Franz 1.) Franz J war ein frischer lebens—
kräftiger Mann, breit von Schultern und Brust, mit braunen Haaren
und frischer Gesichtsfarbe. Unter ihm hatten die französischen Könige
noch keine feste Residenz, sie durchzogen das Reich nach allen Richtungen
und wo sie sich dann für eine Zeit niederließen, sammelte sich um sie
ein mehr oder weniger zahlreicher Hof. Unter Franz J wurden diese
Versammlungen am zahlreichsten und glänzendsten, 12 bis 18000 Pferde
tummelten sich an den Orten herum, wo sich die Edelleute aus nah
und fern einfanden, um ihrem Könige ihre Huldigung darzubringen.
Er selbst lebte und webte nur in körperlichen Uebungen, man konnte ihn
in brennender Sonnenhitze sehen, wie er des Waffenspieles pflegte, an
einem einzigen Tage 60mal seine Lanze brach. Einst in Amboise ließ er
einen 4jährigen Eber in den Schloßhof bringen, damit seine Umgebung
sich an der Wuth des Thieres weiden könne, allein der Eber fand durch
eine schlecht verschlossene Thür den Weg ins Schloß und erregte allge—
meinen Schrecken; alles floh, nur der König gieng dem wilden Thiere
entgegen und versetzte ihm geschickt einen tödtlichen Stoß. — Leiden—
schaftlich liebte Franz die Jagd, unbekümmert um die Gefahren, von
denen sein Leben mehrmals bedroht wurde. Indessen nicht bloß diesen
Beschäftigungen lebte er, durch seine Unterstützung nahm die Baukunst