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und der Steinzierrat ihrer Front sind Stolz der Besitzer. In bett
Städten der Niedersachsen, der Thüringer und Franken ist alter Brauch,
daß die Straßenwand der vorgerückten oberen Stockwerke durch Pfeiler
gestützt wird; dann entsteht zwischen dem eingerückten Unterstock und
den Pfeilern ein gedeckter Gang, die Löben, Lauben, welche an Haupt¬
straßen und am Markte geschützten Durchgang gestatten. Ist eine Stadt
durch große Feuersbrünste verwüstet worden, dann beschließt sie wohl,
daß alle neuen Häuser ans Ziegeln erbaut werden, so Breslau schon
im Jahr 1271 nach dem großen Brande; aber das ist eine Ausnahme
und nicht auf die Länge durchzusetzen, auch in den stolzen Reichsstädten
stehn auf den Hauptstraßen sehr schlechte und verfallene Häuser neben
größeren Neubauten. Wie reich sich in dieser Zeit das Leben der Stadt
entfaltet, das Privatleben und Behagen des einzelnen tritt auch im
Hänserbau ausfallend zurück vor den Arbeiten der Gemeinde. Denn
zwischen Herden und Strohdächern erheben sich großartige Kirchen,
riesige kunstvolle Bauten, in denen die Bürgerschaft mit Stolz zeigt,
was Geld und Arbeit in ihr vermag. Unter den alten Kaisern der
Sachsen, Franken, Hohenstaufen sind die großen Paläste der Stadt¬
heiligen mit edlen Kuppeln, starken Säulenreihen und hohem Mittel¬
schiff aufgerichtet worden; jetzt aber baut nach verändertem Geschmack
die Stadt ihren Dom mit Strebepfeilern und ungeheuren Fenstern, die
durch Glasgemälde geschlossen werden, mit hohen Spitztürmen, deren
kunstvolle Gliederung und durchbrochene Steinmetzarbeit über alle
anderen Türme gegen die Wolken ragen soll. Es ist ein riesiges Werk,
berechnet auf die frommen Beiträge vieler Geschlechter. Auch für ihr
eigenes Regiment baut die Stadt gerade jetzt ein schönes Rathaus,
zierlich und schmuckvoll, darin einen Saal für die großen Feste der
Stadt und ansehnlicher Bürger. Aber zwischen Dom und Rathaus
verhält sich eine kunstlose Wasserpfütze mit schwimmenden Enten, und
daneben steht der deutsche Dorfbaum, die alte Linde; sie ist dem Bürger
Erinnerung an eine Zeit, wo seine Stadt noch nicht war, und wo die
Waldvögel in den Zweigen sangen, ans denen jetzt nur die Sperlinge
sitzen und im Winter die Krähen. Ländlich sind auch die Umfriedungen
der Stadt, sogar bei Kirchhöfen oft Holzzäune. In dem neuen Stadtteil
liegen zwischen den Häusern Gärten für Gemüse, Obst und die Lieblingsblu¬
men der Frauen, Nelke, Lack, Rose und Lilie, dort stehn auch Sommerhäuser.
Der Morgen wird den Bürgern durch Geläut verkündet, und
die Glocken der zahlreichen Gotteshäuser tönen fast den ganzen Tag