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deutsche Kaiserwürde anzunehmen. Demgemäss werden Wir und
Unsere Nachfolger in der Krone Preussens fortan den Kaisertitel führen
und hoffen zu Gott, dass es der deutschen Nation gegeben sein
werde, unter dem Wahrzeichen ihrer alten Herrlichkeit das Vater¬
land einer segensreichen Zukunft entgegenzuführen. Wir über¬
nehmen die kaiserliche Würde iu dem Bewusstsein der Pflicht, in
deutscher Treue die Rechte des Reiches und seiner Glieder zu
schützen, Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit Deutschlands zu
stützen und die Kraft des Volkes zu stärken. Wir nehmen sie an
in der Hoffnung, dass es dem deutschen Volke vergönnt sein wird,
den Lohn seiner heissen und opferwilligen Kämpfe in dauerndem
Frieden und innerhalb der Grenzen zu gemessen, welche dem Vater¬
lande die seit Jahrhunderten entbehrte Sicherheit gegen erneute
Angriffe Frankreichs gewähren wird. Uns aber und Unsern Nach¬
folgern in der Kaiserkrone wolle Gott verleihen, allzeit „Mehrer
des deutschen Reichs“ zu sein, nicht in kriegerischen Eroberungen,
sondern in den Werken des Friedens, auf dem Gebiete nationaler
Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung.
196. Proklamation Seiner Majestät König Milhelms H.
An mein Volk!
Gottes Ratschluß hat über Uns aufs neue die schmerzlichste Trauer
verhängt. Nachdem die Gruft über der sterblichen Hülle Meines
unvergeßlichen Herrn Großvaters sich kaum geschlossen hat, ist auch Meines
heißgeliebten Herrn Vaters Majestät ans dieser Zeittichkeit zum ewigen
Frieden abgerufen worden. Die heldenmütige, ans christlicher Ergebung
erwachsende Thatkraft, mit der er seinen königlichen Pflichten ungeachtet
seines Leidens gereckt zu werden wußte, schien der Hoffnung Raum 511
geben, daß er dem Vaterlande noch länger erhalten bleiben werde.
Gott hat es anders beschlossen. Dem königlichen Dulder, dessen Herz
für altes Große und Schöne schlug, sind nur wenige Monate beschieden
gewesen, um auch auf dem Throne die edlen Eigenschaften des Geistes
und Herzens zu bethätigen, welche ihm die Liebe seines Volkes gewonnen
haben. Der Tugenden, die ihn schmückten, der Siege, die er ans den
Schlachtfeldern einst errungen hat, würd dankbar gedacht werden, so
lange deutsche Herzen schlagen, und unvergänglicher Ruhm würd seine
ritterliche Gestalt in der Geschichte des Vaterlandes verklären.