Full text: [Teil 3 = Oberstufe, [Schülerband]] (Teil 3 = Oberstufe, [Schülerband])

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Nun versetze man sich an Ort und Stelle, denke sich die 
sittliche, äussere Ruhe, die in einem solchen mönchischen Speisesaale 
obwaltet, und bewundere den Künstler, der seinem Bilde kräftige 
Erschütterung, leidenschaftliche Bewegung einhaucht und, indem er 
sein Kunstwerk möglichst an die Natur herangebracht hat, es also- 
bald mit der nächsten Wirklichkeit in Kontrast setzt. 
Das Aufregungsmittel, wodurch der Künstler die ruhig-heilige 
Abendtafel erschüttert, sind die Worte des Meisters: „Einer ist 
unter euch, der mich verrät!“ Ausgesprochen sind sie, die ganze 
Gesellschaft kommt darüber in Unruhe; er aber neigt sein Haupt 
gesenkten Blickes; die ganze Stellung, die Bewegung der Arme, 
der Hände, alles wiederholt mit himmlischer Ergebenheit die 
unglücklichen Worte, das Schweigen selbst bekräftigt: „Ja, es ist 
nicht anders! Einer ist unter euch, der mich verrät.“ Ehe wir 
aber weiter gehen, müssen wir ein grosses Mittel entwickeln, wodurch 
Leonardo dieses Bild hauptsächlich belebte: es ist die Bewegung 
•der Hände; dies konnte aber auch nur ein Italiener finden. Bei 
•seiner Nation ist der ganze Körper geistreich, alle Glieder nehmen 
teil an jedem Ausdrucke des Gefühles, der Leidenschaft, ja des 
Gedankens. Durch verschiedene Gestaltung und Bewegung der 
Hände drückt er aus: „Was kümmert's mich!“ — „Komm her:“ 
— „Dies ist ein Schelm — nimm dich in acht vor ihm!“ — 
„.Er soll nicht lange leben!“ — „Dies ist ein Hauptpunkt! Dies 
merket besonders wohl, meine Zuhörer!“ Einer solchen National- 
-eigenschaft musste der alles Charakteristische höchst aufmerksam 
betrachtende Leonardo sein forschendes Auge besonders zuwenden; 
hieran ist das gegenwärtige Bild einzig, und man kann ihm nicht 
genug Betrachtung widmen. Vollkommen übereinstimmend ist die 
Gesichtsbildung und jede Bewegung, auch dabei eine dem Auge 
gleich fassliche Zusammen- und Gegeneinanderstellung aller Glieder 
auf das lobenswürdigste geleistet. 
Die Gestalten überhaupt zu beiden Seiten des Herrn lassen 
sich drei und drei zusammen betrachten, wie sie denn auch so 
jedesmal in eins gedacht, in Verhältnis gestellt und doch in Bezug 
auf ihre Nachbarn gehalten sind. Zunächst an Christi rechter 
Seite Johannes, Judas und Petrus. 
Petrus, der Entfernteste, fährt nach seinem heftigen Charakter, 
als er des Herrn Wort vernommen, eilig hinter Judas her, der
	        
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