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39. Die treue Gudrun.
Nach dem Volksbuche, bearbeitet von Keck.
.Wie Gudrun mit Herwig verlobt ward
In alten heidnischen Zeiten herrschte über die Friesen, welche den langen
Festlandssaum und die Inseln der Nordsee bewohnten, der mächtige König
Hettel. Seine Gemahlin war die schöne Hilde von Irland, Tochter des
gewaltigen Hagen, dem er sie einst mit List und Gewalt entführt hatte.
Denn unter seinen Dienstmannen waren nicht nur kühne und starke Helden,
wie vor allen Wate von Stürmen, der Riese mit dem ellenbreiten Barte,
sondern auch solche, die mit verwegener List stets ihr Ziel zu erreichen wußten,
wie die Dänen Frute und Horand. Der letztere hatte bei Hildens Ent—
führung besonders durch seine wunderbare Sangeskunst geholfen. Wenn er
seine schönsten Weisen anhub, so ließen die Tiere im Walde und die Fische
im Wasser ihre Fährten, und vollends die menschlichen Gemüter wußte er
so zu bezaubern, daß sie ganz willenlos ihm folgten. So hatte denn auch
Hilde seiner Verlockung nicht widerstehen können; heimlich war sie mit ihm
ins Friesenland gefahren, um König Hettels Gemahlin zu werden, und als
o ihr starker Vater ihr nachgesegelt war, hatte vor allen der riesige Wate durch
seine ungeheure Kraft ihn zurückgeschlagen.
Man könnte also glauben, daß auf dem friesischen Königspaar kein
Segen geruht hätte Aber es schien dennoch so. Zwei herrliche Kinder
waren ihnen herangeblüht: die liebliche Gudrun, die noch schöner war als
» einst ihre Mutter; aber weil ihr niemand davon etwas gesagt hatte, so
wußte sie nichts davon, und frisch und fröhlich sah sie aus ihren blauen
Augen in die Welt hinein; ihr etwas jüngerer Bruder aber war der rasche
und kräftige Ortewin, den der greise Wate zu aller Heldentugend erzogen
hatte. Hettel und Hilde sahen mit Lust und hohem Stolz auf ihre Kinder;
*aber bald sollten sie erfahren, wie geringen Bestand alles Irdische habe.
Die Kunde von Gudruns Schönheit und von dem Reichtum und der
Macht ihrer Eltern lockte bald von nah und fern zahlreiche Freier herbei.
Zuerst kam Siegfried von Moorland und begehrte Gudrun zum Weibe, aber
die stolzen Eltern wiesen ihn ab, weil er nicht mächtig genug sei. Ebenso
zo erging es dem Normannenfürsten Hartmut, dem Sohn des reichen Königs
Ludwig. Und als zu dritt der edle und starke König Herwig aus Nieder—
land kam, verweigerten auch ihm die Eltern ihre Tochter; aber da rückte er
mit einem großen Heere vor Hettels Burg und bewies täglich durch kühne
Thaten, daß er ein echter Held sei. Das gefiel dem König Hettel wohl, und
;s als nun auch Gudrun bat, um ihretwillen nicht mehr Blut zu vergießen,
so ward Versöhnung gestiftet, und die stolzen Eltern gestatteten endlich die
Verlobung ihrer Tochter mit dem wackeren Herwig.
2. Wie Gudrun entführt ward.
Diese Kunde entflammte die beiden verschmäheten Könige zum heftigsten
Zorn. Siegfried von Moorland fiel verwüstend in Herwigs Reich ein, und
o Hettel mußte mit allen seinen Mannen diesem zu Hülfe eilen. Aber während
so die Friesenburg von Verteidigern fast ganz entblößt war, benutzte der
Normanne Hartmut schlau die günstige Gelegenheit Seine böse Mutter