— 423 —
5. Wie Gudrun als Magd gehalten ward.
Hartmut erneuerte allerdings wieder seine Bewerbungen um Gudrun;
da sie dieselben aber entschieden zurückwies, so empfahl er sie der liebevollen
Fürsorge seiner Mutter und zog für eine Reihe von Jahren auf Abenteuer
aus. Gerlinde aber begann nun, Gudrun nach ihrer Weise zu erziehen;
sie hielt sie kärglich und strenge und zwang ihre Gefährtinnen, die niedrigsten
Mägdedienste zu verrichten. Unter den mit der Königstochter geraubten
Jungfrauen befand sich eine, namens Hergart, die schönste und vornehmste
nächst ihr selber; diese mußte Wasser tragen und im Winter die Ofen heizen,
aber bald ward dadurch ihr Mut gebrochen, und sie beugte sich den Unter—
drückern und ward ihrer Gebieterin untreu. Desto fester hielten die anderen 10
Frauen zu ihrer Herrin, und besonders war die treue Hildburg eine feste
und sichere Stütze für Gudrun. Diese selbst trug ihr bitteres Los ohne
Klage, aber keinen Augenblick wankte sie in der Treue gegen den ihr ver—
lobten Herwig; ob auch Monde auf Monde und Jahre auf Jahre während
ihrer Erniedrigung dahinschwanden, so ließ sie doch die Hoffnung auf ihre 15
endliche Befreiung nicht fahren, und ihren Peinigern blieb sie kalt und fremd,
wie sie es von Anfang an gewesen war. Nur gegen die Freundlichkeit der
lieblichen Ortrun, der freilich nur selten gestattet war, sich ihr zu nahen,
fühlte und zeigte sie warme Dankbarkeit
Im siebenten Jahre kehrte endlich Hartmut aus der Fremde zurück; 20
er hoffte Gudrun jetzt zur Vermählung willig zu finden, aber ihre Treue
war unwandelbar. Seiner Mutter machte er schwere Vorwürfe über ihre
värte gegen die Jungfrau; jene versprach, sie wolle hinfort es anders machen,
aber kaum hatte Hartmut sich abermals auf Seeabenteuer hinausbegeben, so
begannen auch die Mißhandlungen schlimmer als jemals. Die friesische »
Königstochter mußte jetzt täglich Gerlindens Kammer auskehren und im
Winler die Ofen darin heizen, wobei es nicht an den schlimmsten Schelt—
worten fehlte Auf Augenblicke mochte Gudrun wohl verzagen und alle
Hoffnung auf Befreiung aufgeben; aber wenn sie sich an der Brust ihrer
treuen Hildburg ausgeweint und ein Gebet zum Himmel emporgesandt hatte, 0
dann kam ihr wieder Ruhe und Heiterkeit der Seele. Ohne Murren thaͤt
sie alleg was man sie hieß, aber ihr Herz war bei den Lieben daheim.
So vergingen wieder Jahre. Da kehrte Hartmut gegen den siebenten
Winter abermals zurück, nunmehr fest entschlossen, auf alle Fälle Gudrun
zu seiner Gemahlin zu machen. Er ging in ihre Kammer und stellte ihr ?
alle Herrlichkeit vor, die sie als Königin des Landes zu erwarten habe;
aber mit Hoheit erwiderte sie: „Ihr wißt, daß euer Vater Ludwig meinen
Vater erschlug; wie könnte denn zwischen uns Freundschast sein?“ Als endlich
alle seine Überredungskunst sich unnütz erwies, wandte er sich an seine
Schwester Ortrun und bat sie, ihre Freundin zur Nachgiebigkeit zu bewegen.
Freudig erwiderte jene: „O wie gern will ich ihr dienen! Mein Haupt will
ich ihr neigen, daß sie womöglich ihres Leides vergesse“ So ward Gudrun
zu Ortrun geführt und wieder fürstlich gehalten; aber auch die holde Güte
des einzigen Wesens im Normannenlande, dem sie herzlich zugethan war,
vermochte nicht sie wankend zu machen; ihr Schlußwort auf alle Mahnungen“
der Freundin blieb immer: „Einem König bin ich längst mit festen Eiden
zum ehelichen Weibe verlobt und zugesagt; ehe er gestorben ist, werd' ich
40