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Herrscher zu Tische, und es dienten ihm beim Krönungsmahle die Herzöge der
deutschen Länder. Der Lothringer Herzog Giselbert, in dessen Gebiet Aachen lag,
leistete die Dienste des Kämmerers und ordnete die ganze Feier, der Franken—
herzog Eberhard sorgte als Truchseß für die Tafel, der Schwabenherzog Hermann
stand als oberster Mundschenk den Schenken vor, und Arnulf von Bayern nahm
für die Ritter und ihre Pferde als Marschall Bedacht, wie er auch die Stellen
bezeichnet hatte, wo man lagern und die Zelte auffchlagen konnte. Denn die
alle Kaiserstadt reichte nicht aus, die Zahl aller der Herren, die nach Aachen ge—
ritten waren, in sich zu fassen. Als die Festlichkeiten beendet waren, lohnte Otto
einem jeden der Großen mit reichlicher Guͤnst und großen Geschenken, und froh
kehrten alle in die Heimat zuͤrück.
Ein solches Fest hatten die deutschen Völker nie bisher gesehen, und nie
wurde eine Krönungsfeier von gleicher Bedeutung wieder begangen. Die Vereinigung
aller deutschen Stämme unter ein Haupt fand hier ihren oöͤffentlichen Ausdruck;
man beging gleichsam das Fest der Gründung des Deutschen Reichs. Erscheint
Heinrich faft noch mehr als Sachsenfürst denn als König der Deutschen, so war
Otto, obschon auch er sich König der Franken nannte, doch vom Beginn seines
Regiments im vollen und ganzen Sinne des Wortes ein König der Deutschen.
6. Die Schlacht auf dem Lechfelde (955).
Wilhelm v. Giesebrecht.
KQaum war Otto in Sachsen angelangt, so erschienen Gesandte der Ungarn
an seinem Hofe, scheinbar in friedlicher Absicht und um die Ergebenheit ihres
Volks dem Könige zu bezeigen, in der That aber um zu spähen, wie es im
deutschen Lande stände, und ob nicht abermals ihre Stunde geschlagen habe—
Und als sie Otto eben erst mit reichen Geschenken entlassen hatte, kamen auch
schon Boten von Herzog Heinrich aus Bayern und brachten die Kunde: „Sieh,
die Ungarn sind da, überfluten die Grenzen des Reichs und wollen mit Dir
einen Strauß bestehen.“ Sobald Otto diese Kunde vernahm, brach er auf und
nahm abermals seinen Weg nach Bayhern, das er kaum verlassen hatte. Nur
wenige Sachsen begleiteten ihn, da er das Land wegen des drohenden Wenden—
kriegs nicht von der streitbaren Mannschaft entblößen durfte.
Indessen aber hatten die Ungarn schon das ganze Bayernland überschwemmt
und waren tief in Schwaben eingedrungen. Bis zu dem Schwarzwald hin
schwärmten einzelne Reiterscharen, während die Hauptmasse des Heeres sich in
der Ebene am Lech in der Umgegend von Augsburg gelagert hatte. Niemals
waren die schlimmen Unholde in so dichten Scharen in das Land gefallen/
hunderttausend Mann an der Zahl, sollen sie in Bayern eingebrochen sein, und
fie rühmten sich, sie scheuten nichts auf der Welt, wenn nicht der Himmel ein—
stürzte, oder sie die Erde verschlänge. Nie zuvor hatten sie schlimmer gehaust
und größere Greuel verübt.
Bewunderungswürdigen Mut zeigte in diesen Tagen der Not der fromme
Bischof Ulrich von Augsburg, der treue Freund König Ottos. Gerade sein
liebes Augsburg war besonders den Angriffen der Ungarn ausgesetzt, und eine
Verteidigung der Stadt schien fast unmöglich, denn sie war groß und zahlreich
bevölkert. aber nur von einer niedrigen Mauer umgeben; es fehlten ihr selbst
jene festen Türme, mit denen man sonst die Mauern damals zu sichern pflegte,
und die wir jetzt noch in vielen alten Städten als die letzten dem Untergange