Full text: Lesestoff der sechsten Klasse (Untersekunda) (Teil 1, [Schülerband])

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Es liegt auf der Hand, daß mit einem solchen Volke alles auszurichten 
war; daß in dem Senate, in dem sich die Leitung der öffentlichen Ange¬ 
legenheiten vereinigte, bei einem solchen Volke sich das stolzeste Gefühl der 40 
Unbesiegbarkeit und des Herrscherberufs ausbilden mußte; daß erlittene Un¬ 
fälle den Mut im Krieg nicht beugten, sondern stählten und lebhafter an¬ 
fachten; daß es zum unverbrüchlichen Grundsätze wurde nie mit einem sieg¬ 
reichen Feinde Frieden zu schließen. Zum Beweis hierfür wird es hinreichen 
auf den Verlaus der beiden punischen Kriege, aus die Tat des Militärtri-45 
bunen in dem ersten derselben, der sich dem Tode für das Vaterland mit 
den in ihrer Einfachheit wahrhaft großartigen Worten anbietet, daß er dazu 
bereit sei, wenn sich kein anderer finde, und auf die Beispiele des Ämilius 
Paulus und Spurius Ligustinus zu verweisen. Auch die Griechen haben in 
den Perserkriegen Wunder der Tapferkeit getan und überhaupt nicht nur in 50 
Kunst und Literatur sondern auch in politischer Hinsicht Bewunderungs¬ 
würdiges geleistet. Aber ihre Vaterlands- und Freiheitsliebe, die diese Er¬ 
folge hervorgebracht hat, war nicht in dem Maße wie bei den Römern von 
dem bürgerlichen Sinne begleitet, der nicht bloß in Momenten der Begeiste¬ 
rung sondern stets und unter allen Umständen alles andere der Pflicht für das 55 
Vaterland nachsetzt, dem es zur Gewohnheit und unverbrüchlichen Regel ge¬ 
worden ist keine Anstrengung, kein Opfer zu scheuen, wenn der Dienst des 
Vaterlands ruft, und der den Obrigkeiten, den Repräsentanten des Staats, 
einen unvergleichlichen und stets bereiten Gehorsam leistet. Deshalb waren 
die Erfolge der Griechen zwar glänzend, aber bei weitem nicht so umfassend 60 
und dauernd wie die der Römer. 
Aber so groß und bewunderungswürdig der Aufbau des römischen 
Staates und Reiches, ebenso einzig in seiner Art ist auch das Zerstörungswerk, 
durch welches in einem hundertjährigen inneren Kampfe die Fundamente 
des Gebäudes allmählich untergraben wurden. 65 
Man kann vielleicht sagen, daß Rom im letzten Grunde der Dinge an 
derselben Einseitigkeit, welche die Ursache seiner Größe geworden, zu Grunde 
gegangen sei. Ein Volk verlangt, wenn es §n einer dauernden Blüte gelangen 
soll, eine allseitigere Betätigung und Entwicklung seiner Kräfte um immer 
neue Nahrung aus den: Boden ziehen und neue Zweige treiben zu können. 70 
Jene politische Virtuosität, die sich hauptsächlich in kriegerischen Großtaten 
und in der Unterwerfung fremder Völker äußern nmßte, trieb das Volk 
schließlich über das richtige Ziel hinaus, sie gab dem Reiche eine Ausdehnung, 
die der verhältnismäßig kleine eigentliche. Staat nicht bewältigen konnte, 
sie führte Reichtümer und Schätze aller Art nach Rom, die den einfachen 75 
Sinn der Bürger untergruben, und wenn dann auf der einen Seite durch 
die ununterbrochene Kriegsübung die militärische Tüchtigkeit sich immer
	        
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