Full text: Lesestoff der sechsten Klasse (Untersekunda) (Teil 1, [Schülerband])

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fräste des Reiches gehorchten seinem Befehle; in Rom war man der Ver¬ 
wirrungen und des Druckes der Bürgerkriege müde, man sehnte sich nach 
Ruhe und Ordnung und Sicherheit des Daseins; noch mehr war dies in 120 
den Provinzen der Fall, die während der Bürgerkriege nicht sowohl ver¬ 
waltet als geplündert und ausgesogen worden waren; der geringe Rest der 
Nobilität, soweit er sich nicht schon bisher unter die neue Ordnung der Dinge 
gebeugt hatte, machte seinen Frieden mit Octavian. So senkte sich also die 
Alleinherrschaft von selbst auf das zerrissene und ermüdete Reich herab. 126 
Der Staat 
von Gustav Meier*). 
Die Arbeit zum gemeinsamen Wohl ist die Aufgabe des Staates. 
Anfangs ist sie nur auf die Nächstliegenden materiellen Bedürfnisse gerichtet, 
auf den Schutz gegen feindliche Gewalten in der Natur und in der Menschen¬ 
welt. Mit der Entwicklung der Kultur dehnt sich der Kreis; immer größere 
Mengen von Menschen treten zueinander in Beziehungen freundlicher und 5 
feindlicher Art, Einrichtungen müssen geschaffen werden um diese zu ordnen 
und zu regeln. Die Rechte des einzelnen und der Familie, des Eigentums, 
sei es privat oder gemeinsam, und des Besitzwechsels durch Tausch, Handel, 
Schenkung, Erbschaft werden festgestellt. Durch die gewerbliche Entwick¬ 
lung und die Vervollkommnung des Verkehrs werden immer größere 10 
Menschenmassen auf immer weiteren Länderstrecken zu gemeinsamen Inter¬ 
essen geführt; der Staat selbst zieht immer mehr wirtschaftliche Tätigkeiten 
in seinen Bannkreis, er bildet sich allmählich zu einem vorwiegend wirt¬ 
schaftlichen Organismus. aus. Mit der Verbreitung humaner Gesinnung 
stellt sich das Pflichtgefühl einer Fürsorge für die Alten, Schwachen und 15 
Kranken ein, welche durch die vorschreitende Industrialisierung und die 
daraus folgende Freizügigkeit, durch die „Loslösung von der Scholle" zur 
Aufgabe des Staates wird. Vom materiellen Gebiet schreiten die gemein¬ 
samen Bedürfnisse auf das geistige Gebiet fort; Fürsorge für Erziehung und 
Bildung wird zur Pflicht der Gesamtheit. Infolge der Verfeinerung der 20 
Bedürfnisse und der Arbeitsmethoden erweitert sich der Kreis der staat¬ 
lichen Aufgaben: in der Pflege der Wissenschaften als Erkenntnisquellen 
der Daseinsbedingungen und der Kunst als Mittel der Daseinsveredlung. 
So erstarkt der Staat in allmählicher Entwicklung zum ersten Kulturfaktor, 
so ordnet er heute unsere wichtigsten Beziehungen, leitet sie und grenzt sie 26 
ab und regelt unser Wohl und Wehe von der Wiege bis zum Grabe. 
*) Aus „Schaffen und Schauen, ein Führer ins Leben" I. (Leipzig, Teubner.)
	        
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