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wie immer weniger Hände sich regten, wie die schönen, mit so vielen Kosten
herbeigeführten antiken Säulen unbenutzt da lagen, wie Kelle und Winkel¬
maß mit Staub bedeckt waren. Da erschien eines Morgens ein unbekannter
Mann und verlangte, zum Magistrat geführt zu werden. Nachdem man seinem
Begehren gewillfahrt, erbot er sich, das zum Bau nöthige Geld herbeizuschaffen.
Mit tausend Danksagungen nahmen die frommen Aachener sein Anerbieten
an und frugen, welche Sicherheit er verlange und welche Bedingung er in
Betreff der Rückzahlung mache.
„Rückzahlung verlange ich gar nicht," war die Antwort, und die Raths¬
herren schlugen beinahe rücklings, denn eine solche Uneigennützigkeit war selbst
in jenen, im Prozentrechnen weniger geübten Zeiten etwas Unerhörtes'. Aber
ihr Erstaunen ward ganz anderer Art, als der räthselhafte Gast fortfuhr: j
„Zur einzigen Bedingung mache ich, daß die erste Seele, welche in die fertig
gewordene Kirche eingeht, mein wird." — Da merkten die Herren, mit wem
sie zu thun hatten'" — und ein Apage Sät . . . schwebte dem Gelehrtesten
auf der Zunge, als die vernünftige Betrachtung, daß eine so schöne Gelegen¬
heit die Kirche ohne Schwierigkeit zu vollenden, sich nicht leicht zum zweiten
Male darbieten würde, ihren frommen Abscheu noch zur rechten Zeit im
Zaume hielt. Der Fremde, ohne eine Miene zu verändern, sah sie scharf
an, und nachdem die Bestürzten die Antwort hervorgestottert, daß sie die
Sache überlegen wollten, enffernte er sich mit der Bemerkung, er werde am
folgenden Tage zurückkehren, um ihren Entschluß zu vernehmen.
Die Baulust trug es über alle Gewissensskrupel davon. Der Pakt
mit dem Ungenannten, aber nicht mehr Unbekannten, ward also eingegangen, .!
und noch an demselben Tage strotzten alle Kassen von Gold. Da es mit , >
dem üblichen Reichsgepräge versehen war, so scheute sich Niemand, davon an¬
zunehmen. Rasch wurde die Arbeit gefördert, bald wölbte sich die hohe
Kuppel, und das Münster war so weit vorgerückt, daß man an die Einwei¬
hung dachte. Nun war aber guter Rath theuer, denn Keiner hatte Lust, der
Erste zu sein, der die verhängnißvolle Schwelle betrat. Der Fremde hatte
sich nicht wieder blicken lassen, aber man zweifelte nicht daran, daß er sich
seinen Lohn zur rechten Zeit holen werde. Da wurde denn von den geist¬
lichen und weltlichen Machthabern von Neuem berathen, und endlich schien
man ein Auskunftsmittel gefunden zu haben, denn es ward angesagt, daß
am Dreikönigenfeste (804) die große Ceremonie Statt finden sollte, zu welcher
Papst Leo selbst von Rom nach Aachen gekommen war.
Am Morgen Epifaniä waren die Höfe und Säle der kaiserlichen Pfalz
mit Tausenden gefüllt. Die hohe Geistlichkeit in prachtvollem Ornate und
die Reichsfürsten in glänzendem Anzuge begaben sich hin, auch Karl hatte
seine gewöhnliche einfache Kleidung abgelegt und erschien im Kaiser-Ornate.
Auf dem Münsterplatze wogte das Gedränge des Volkes, aber Jeder blieb
dem großen Thore fern; nur ängstliche, scheue Blicke wurden dahingesandt,
obgleich man nichts Fremdartiges dort bemerkte. Da nahte mit raschen
Schritten ein Haufen bewaffneter Trabanten der Kirche, sie jugen einen
großen, kurz vorher gefangenen Wolf in die Kirche hinein. Ein schreckliches
Getöse erhob sich — wüthend und flammenspeiend schoß eine Teufelsgestalt
auf das Thier zu und erwürgte es im Nu mit ihren scharfen Krallen. Da
entstand ein gewaltiger Jubel der zahlreich versammelten Menge, und im
Augenblick, wo der Erzfeind sich mit der Seele des unglücklichen Wolfs, den
man ihm, statt der gehofften Menschenseele, in den Rachen gejagt, unter