Full text: Deutsches Lesebuch für die mittleren Klassen und die Secunda höherer Lehranstalten

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Ehrgeiz antrieb zu siegen. Da kamen die Jahre der Prüfung, sieben Jahre 
furchtbarer, herzguälender Sorgen, die große Periode, wo dem reichen, hoch¬ 
fliegenden Geiste die schwersten Aufgaben, die je ein Mensch bestanden, auf¬ 
erlegt wurden, wo ihm fast alles unterging, was er an Freude und Glück 
besaß. Nicht eroberungslustig zog er diesmal in den Kampf; daß er um 
sein und seines Staates Leben zu kämpfen hatte, war ihm lange vorher 
deutlich geworden. Aber um so höher wuchs sein Entschluß. Durch die 
Energie eines unwiderstehlichen Angriffs gedachte er die Wetter, die sich von 
allen Seiten um sein Haupt zusammenzogen, zu zertheilen, bevor sie sich ent¬ 
luden. Er war bis dahin nie besiegt worden, seine Feinde waren geschlagen, 
so oft er, sein furchtbares Werkzeug, das Heer, in der Hand, auf sie ge¬ 
stoßen war. Das war eine Hoffnung, die einzige. Wenn ihm auch diesmal 
die erprobte Gewalt nicht versagte, so mochte er seinen Staat retten. 
Aber gleich bei dem ersten Zusammentreffen mit den Oesterreichern, den 
alten Feinden, sah er, daß auch sie von ihm gelernt hatten und Andere ge¬ 
worden waren. Bis zum Aeußersten spannte er seine Kraft, und bei Kolin 
versagte sie ihm. Dort begegnete ihm, was ihm noch zweimal in diesem 
Kriege den Sieg entriß, er hatte seine Feinde zu gering geachtet und seinem 
eigenen tapfern Heere das Uebermenschliche zugemuthet. Nach einer kurzen 
Betäubung hob sich Friedrich in neuer Kraft. Aus dem Angriffskriege war 
er auf eine verzweifelte Defensive angewiesen; von allen Seiten brachen die 
Gegner gegen sein kleines Land hervor; mit jeder großen Macht des Fest¬ 
landes trat er in tödtlichen Kampf, er, der Herr über nur 4 Millionen 
Menschen und über ein geschlagenes Heer. Jetzt bewährte er sein Feldherrn¬ 
talent, wie er sich nach Verlusten den Feinden entzog, und sie wieder packte 
und schlug, wo man ihn am wenigsten erwartete, wie er sich bald dem einen, 
bald dem andern Heere entgegenwarf, unübertroffen in seinen Dispositionen, 
unerschöpflich in seinen Hülfsmitteln, unerreicht als Führer und Schlachtenherr 
seiner Truppen. So stand er, einer gegen fünf, gegen Oesterreicher, Russen 
und Franzosen, von denen jeder einzeln der Stärkere war, zu gleicher Zeit 
noch gegen Schweden und die Reichstruppen. Fünf Jahre lang kämpfte er 
so gegen eine ungeheure Uebermacht, jedes Frühjahr in Gefahr, allein durch 
die Massen erdrückt zu werden, jeden Herbst wieder befreit. Ein lauter Ruf 
der Bewunderung und des Mitgefühls ging durch Europa. Und unter den 
ersten widerwilligen Lobrednern waren seine heftigsten Feinde. Gerade jetzt, 
in diesen Jahren des wechselnden Geschickes wurde seine Kriegführung das 
Staunen aller Heere Europa's. Wie er seine Linien gegen den Feind zu 
stellen wußte, immer als der schnellere und gewandtere, wie er so oft in 
schräger Stellung den schwächsten Flügel des Feindes überflügelte, zurückdrängte 
und zusammenwarf, wie seine Reiterei, die neugeschaffen zu der ersten der 
Welt geworden war, in Furie über den Feind stürzte, seine Reihen zerriß, 
seine Haufen zersprengte, das wurde überall als neuer Fortschritt der Kriegs¬ 
kunst, als die Erfindung des größten Genies gepriesen. Einstimmig wurde 
das Urtheil, daß Friedrich der größte Feldherr seiner Zeit sei, daß es vor 
ihm, so lange es eine Geschichte gibt, wenig Heerführer gegeben, die ihm z" 
vergleichen wären. Daß die kleinere Zahl so häufig gegen die Mehrzahl 
siegte, daß sie auch geschlagen nicht zerschmolz, sondern, wenn kaum der Feind 
seine Wunden geheilt, so drohend und gerüstet wie früher ihm gegenübertrat, 
das schien unglaublich. 
Immer lauter wurde der Schrei der Trauer und der Bewunderung, 
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