Full text: Deutsches Lesebuch für die mittleren Klassen und die Secunda höherer Lehranstalten

A. Epische Poesie. 
a. Zabeln und Märchen. 
1. Der Tanzbär. 
(Don Christian Fürchtegott Geliert.) 
Ein Bär, der lange Zeit sein Brod 
ertanzen müssen, 
Entrann, und wählte sich den ersten 
Aufenthalt. 
Die Bären grüßten ihn mit brüder¬ 
lichen Küssen, 
Und brummten freudig durch den Wald; 
5 Und wo ein Bär den andern sah, 
So hieß es: Petz ist wieder da! 
Der Bär erzählte drauf, was er in frem¬ 
den Landen 
Für Abenteuer ausgestanden, 
Was er gesehen, gehört, gethan! 
10 Und fing, da er vom Tanzen redte, 
Als ging er noch an seiner Kette, 
Auf polnisch schön zu tanzen an. 
Die Brüder, die rhn tanzen sah'n, 
Bewunderten die Wendung seiner Glieder, 
15 Und gleich versuchten es die Brüder. 
Allein, anstatt, wie er zu gehn, 
So konnten sie kaum aufrecht stehn, 
Und mancher fiel der Länge nach darnieder. 
Um desto mehr ließ sich der Tänzer sehn; 
20 Doch seine Kunst verdroß den ganzen 
Haufen. 
Fort, schrien Alle, fort mit dir! 
Du Narr, willst klüger sein als wir? 
Man zwang den Petz, davon zu lausen. 
Sei'nicht geschickt, man wird Dich 
wenig hassen, 
25 Weil Dir dann Jeder ähnlich ist; 
Doch je geschickter Du vor vielen an¬ 
dern bist, 
Je mehr nimm Dich in Acht, Dich 
prahlend seh'n zu lassen. 
Wahr ist's, man wird aus kurze Zeit 
Von Deinen Künsten rühmlich sprechen; 
30 Doch traue nicht, bald folgt der Neid, 
Und macht aus der Geschicklichkeit 
Ein unverzeihliches Verbrechen. 
2. Der Bauer und sein Sohn. 
(Von Christian Fürchtegott Geliert.) 
Ein guter, dummer Bauernknabe, 
Den Junker Hans einst mit auf Reisen nahm, 
Und der, trotz seinem Herrn, mit einer guten Gabe, 
Recht dreist zu lügen, wieder kam, 
5 Ging, kurz nach der vollbrachten Reise, 
Mit seinem Vater über Land. 
Fritz, der im Geh'n recht Zeit zum Lügen fand, 
Log auf die un^rschämtste Weise. 
Zu seinem Unglück kam ein großer Hund gerannt. 
10 Ja, Vater, ries der unverschämte Knabe, 
Ihr mögt mir's glauben, oder nicht: 
So sag ich's Euch und Jedem in's Gesicht. 
Daß ich einst einen Hund bei — Haag gesehen habe, 
Hart an dem Weg, wo man nach Frankreich fährt, 
15 Der — ja ich bin nicht ehrenwerth, 
Wenn er nicht größer war, als Euer größtes Pferd. 
Das, sprach der Vater, nimmt mich Wunder; 
Wiewohl ein jeder Ort läßt Wunderdinge sehn. 
Wir, zum Exempel, gehn jetzunder, 
20 Und werden keine Stunde gehn, 
So wirst du eine Brücke sehn 
(Wir müssen selbst darüber gehn), 
Die hat dir Manchen schon betrogen; 
(Denn überhaupt svll's dort nicht gar zu richtig sein) 
25 Auf dieser Brücke liegt ein Stein, 
An den stößt man, wenn man denselben Tag gelogen, — 
Und fällt, und bricht sogleich das Bein.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.