Full text: Deutsches Lesebuch für die mittleren Klassen und die Secunda höherer Lehranstalten

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5. Hilf mir dieses Volk bezwingen, gib den Sieg in meine Hand, 
Daß der Franken Macht erkennen muß des Rheins, des Neckars Strand. 
6. Sieh, so will ich an dich glauben, Kirchen und Kapellen baun 
Und die edeln Franken lehren keinem Gott als dir vertraun." 
7. Sprach es, imd aus Wolken leuchtend brach der Sonne voller Strahl, 
Frischer Muth belebt die Herzen, füllt des schwachen Häufleins Zahl. 
8. Chlodwig ergriff das Banner, trug es in der Feinde Reihn, 
Und die Franken siegesmuthig stürzten jauchzend hinterdrein. 
9. Schreck ergriff der Feinde Rotten, feige wenden sie und fliehn, 
All ihr Kriegsruhm ist erloschen, ihre Macht und Freiheit hin. 
10. König Chlodwig ließ sich taufen und sein edles Volk zugleich, 
Und ob allen deutschen Stämmen mächtig ward der Franken Reich. 
11. Wenn sie einst den Gott verlassen, der bei Zülpich Sieg verlieh, 
Ist den Alemannen wieder Macht gegeben über sie. 
I Idyllen'). 
9(1. Irin *)♦ 
(Von Ewald ton Kleist.) 
An einem schönen Abend fuhr 
Irin mit seinem Sohn im Kahn 
Auf's Meer, um Reusen in das Schilf 
Zu legen, das ringsum den Strand 
5 Von nahen Eilanden umgab. 
Die Sonne tauchte sich bereits 
Jn's Meer, und Flut und Himmel schien 
Im Feuer zu glühen. 
„O wie schön 
10 Ist jetzt die Gegend I" sagt entzückt 
Der Knabe, den Irin gelehrt, 
Auf jede Schönheit der Natur 
Zu merken. „Sieh'," sagt er, „den Schwan, 
Umringt von seiner frohen Brut, 
15 Sich in den rothen Widerschein 
Des Himmels tauchen I Sich', er schifft, 
Zieht rothe Furchen in die Flut, 
Und spannt des Fittigs Segel auf. — 
Wie lrcblich flistert dort im Hain 
20 Ter schlanken Ess'en furchtsam Laub 
Am Ufer, und wie reizend fließt 
Die Saat in grünen Wellen fort, 
Und rauscht, vom Winde sanft bewegt. — 
O was für Anmuth haucht anjetzt 
25 Gestad' und Meer und Himmel aus! 
Wie schön ist Alles! und wie froh 
Und glücklich macht uns die Natur!" — 
Die Idylle (von elSvXXtov = Söiftcijen) hat vorzugsweise die Darstellung 
einfacher, unverdorbener Naturzustände zum Gegenstand. 
2} Man beachte in diesem lieblichen Gedichte, wo Alles Natur, Alles auf Wahr¬ 
heit gegründet ist, die treuherzige Einfachheit und natürliche Unschuld der beiden 
Charaktere, die scheinbar zufällige, aber doch begründete (V. 11) Veranlassung, welche 
der Vater zu seinen Ermahnungen benutzt, die schlichte einfache Sprache, in welcher er 
d>c edelsten Gesinnungen ausspricht, die passende Art die Wahrheit seiner Lehren zu 
beweisen, welche Wirkung die Hinweisung des Vaters auf seinen baldigen Tod auf das 
Gemüth des Knaben äußert und endlich, welche Früchte diese Scene getragen hat. 
^gl. Kurz, Handb. der poct. Nationallit. III. 116 ff. 
H__._ 
„Ja," sagt Irin, „sie macht uns froh 
Und glücklich, und Du wirst durch sie 
60 Glückselig sein Dein Leben lang, 
Wenn Du dabei rechtschaffen bist, 
Wenn wilde Leidenschaften nicht 
Von sanfter Schönheit das Gefühl 
Verhindern. O Geliebtester! 
35 Ich werde nun in Kurzem Dich 
Verlassen und die schöne Welt, 
Und noch in schönern Gegenden 
Den Lohn der Redlichkeit empfahn. 
O, bleib' der Tugend immer treu! 
40 Und weine mit den Weinenden, - 
Und gib vor: Deinem Vorrath gern 
Den Armen. Hilf, so viel Du 'kannst, 
Zum Wohl der Welt; sei arbeitsam. 
Erheb' zum Herren der Natur, 
45 Dem Wind unb Meer gehorsam ist. 
Der Alles lenkt nun Wohl der Welt, 
Den Geist I Wähl' lieber Schand und Tod, 
Eh' Du in Bosheit willigest. 
Ueberfluß und Pracht ist Tand; 
50 Ein ruhig Herz ist unser Theil. — 
Durch diese Denkungsart, mein Sohn, 
Ist unter lauter Freuden mir 
Das Haar verbleichet. Und wiewohl 
Ich achtzigmal bereits den Wald
	        
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