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36* Der Rheinfall bei Schaffhaufen. rj
(Von Meiners.)
Als wir bei dem Schlosse Laufen ankamen, und auf die erste Laube
geführt wurden, wo man dies Schauspiel der Natur übersieht, erstaunten
wir, nicht über die Größe der Erscheinung, sondern darüber, daß sie so weit
unter unserer Erwartung war. Wir sahen Ströme von weißem, schäumendem
Wasser quer durch's ganze Bett des Flusses herabfallen, und hörten ein heftiges
Getöse; allein weder Augen noch Ohren wurden so gerührt, daß wir nicht
einen heimlichen Unwillen gegen diejenigen empfunden hätten, die so viel
Geschrei über das, was wir jetzt vor uns sahen, machen könnten. Als wir
aber an dem steilen Ufer des Rheins auf den kleinen hölzernen Treppen zu
der Brücke oder hölzernen Galerie hinabstiegen, die an den Rand, und man
kann sagen, in den Katarakt selbst hineingebaut ist, da hörten und sahen wir
Dinge, die keine menschliche Zunge auszusprechen, keine Kunst zu erreichen
vermag. Ungeachtet wir alle Augenblicke, besonders wenn ein Windstoß die
Dünste auf uns zutrieb, mit ganzen Wolken von feinem Staubregen bedeckt
wurden; ungeachtet der Boden, auf welchem wir standen, auf eine so furcht¬
bare Art zitterte, als wenn er von heftigen Erdbeben erschüttert würde; un¬
geachtet wir stets in Gefahr waren; von einem Gewitterschauer überfallen zu
werden: so konnte ich mich doch nicht eher losreißen, als bis ich alles ge¬
nossen und gleichsam erschöpft hatte.
Schon eine halbe Stunde vor dem Fall, nämlich von der prächtigen
Rheinbrücke bei Schaffhausen an, wird das Bett des Rheins so abschüssig,
und der Fluß selbst so reißend, daß alle Schiffe ausgeladen werden müssen.
Nahe vor dem großen Sturze aber werden seine Gewässer durch unzählige
theils verborgene, theils hervorragende Klippen in fürchterliche Strudel und
schäumende Wellen zerspalten, bis er endlich von einer Höhe von etwa 75
Schuhen an einer steilen, aber unebnen Felswand herunter schießt. Gerade
an der Stelle, wo die herabstürzenden Fluten sich mit dem Flusse wieder
vereinigen, steigen zwei Felsen hervor, unter welchen der zweite der größte,
der erste aber, den man von der Zürcher Seite sieht, der kleinste und gebrech¬
lichste ist. Sein Fuß ist durch die Gewalt der Wellen größtentheils verzehrt,
und es scheint, als wenn eine jede ihn von neuem augreifende Wassersäule
denselben umwerfen könnte. Dieser Fels macht, daß man nur einen Theil
des Wasserfalls, denjenigen nämlich übersehen kann, der zwischen ihm und
dem Ufer ist, auf welchem man steht. Dieser ist aber unstreitig der wich¬
tigste und läßt sich wiederum in vier Absätze zerlegen. Beim erstell stürzell
die Wellen mit einer solchen Gewalt herab, daß es fast unmöglich ist, einen
stärkern sinnlichen Ausdruck von Kraft zu sehen. Schon von diesem ersten
Sturze steigen unaufhörlich Wolken über das obere Bett des Flusses empor,
und es ist, als wenn man in die Spitze einer mächtigen Wassersäule hinein¬
sähe, die durch künstliche Triebwerke in die Höhe gehoben, und zuletzt in
Nebel und feinen Regen zerstäubt würde. Die drei übrigen Fälle sind weni¬
ger hoch, allein die Wuth der Wellen ist gerade da am größten, wo sie sich
in die Abgründe verlieren, die sie sich selbst ausgehöhlt haben. Diese Ab¬
gründe werfen ohne Unterlaß Strahlen von milchweißem Wasser und dicke
Staubwolken aus, deren Gestalt und Wälzungen eben so mannichfaltig, als
Z Obgleich der Rheinfall auf schweizerischem Gebiete, jedoch dicht an der politischen
Grenze Deutschlands liegt, wird seine Beschreibung hier eine passende Stelle finden.