Full text: Deutsches Lesebuch für die mittleren Klassen und die Secunda höherer Lehranstalten

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die der Wellen sind, aus denen sie entstehen, und die sichtbar und langsam 
dem entgegengesetzten Ufer zugetragen werden. 
Als wir den Wasserfall von der interessantesten Seite betrachtet hatten, 
stiegen wir wieder zur obern Laube hinauf, entschlossen uns aber sogleich, 
uns an das andere Ufer des Rheins übersetzen zu lassen. Der leichte Kahn, 
in den wir uns setzten, tanzte auf den Wellen des Flusses, der von seinem 
gräßlichen Falle noch heftige, unnatürliche Bewegungen und gleichsam Zuckun¬ 
gen litt. Ich gestehe aufrichtig, daß ich nicht ganz ohne Furcht war, un¬ 
geachtet ich mehrmalen viel wildere Wellen und heftigere Bewegungen von 
Schiffen erfahren hatte. Der Führer unsers Kahns war ein junger Bube, 
der zwar kurz vorher einen guten Freund glücklich herüber gebracht hatte, 
von dem ich aber doch nicht wußte, wie geübt er war, und ob er nicht durch 
eine einzige ungeschickte Bewegung unsern kleinen Nachen umwerfen könnte. 
Eben dies konnte auch geschehen, wenn einer von uns sich vor einem unvor¬ 
hergesehenen Schrecken zu sehr auf die eine oder die andere Seite neigte. 
Die größte Gefahr, in die wir wirklich kamen, hatte ich gar nicht einmal 
geahnet, daß wir nämlich mitten auf dem Strome von einem heftigen Wind- 
Üoß getroffen werden könnten. Wir erreichten aber glücklich das andere Ufer, 
und übersahen nun freilich die ganze Breite und alle Abtheilungen des Wasser¬ 
falls mit einem Blick; allein dies Schauspiel war doch mehr neu und seltsam, 
als groß und Bewunderung erregend, indem man schon zu weit entfernt ist, 
als daß man die Kraft und Geschwindigkeit der Wellen recht wahrnehmen könnte. 
37. Die oberrheinische Ebene. 
(Von I. Kutzen.) 
Die oberrheinische Ebene ist ein in großartigen Verhältnissen einfaches, 
leicht übersichtliches Oberflächengebilde, — ein allmählich und oft fast un¬ 
merklich absinkender Flachlands-, ja großentheils Tieflands-Busen mitten im 
Hochlande, der, bei einer Breite von 3 bis 6 Meilen, sich von Süden nach 
Norden etwas über 40 Meilen weit in die Länge zieht. Die Gebirge zu 
beiden Seiten, welche gleichsam als wallartige Dämme diese vom Rheine 
durchströmte Ebene einfassen, steigen im Süden imposant empor, sinken gegen 
die Mitte bedeutend und erstreben dann weiter nördlich noch einmal eine 
größere Höhe, die jedoch den südlichen Theilen bei weitem nicht gleichkommt. 
Ueberall aber, wie verschieden auch in den einzelnen Theilen ihre Erhebung, . 
bleiben sie ausdauernd in einem merkwürdigen Parallelismus zu einander 
und wenden der eingeschlossenen Ebene ihre steilen und schroffen Wände, ihre 
erhabensten Gipfel zu, während die vom Rheinstrome abgewendeten Gehänge 
sich sanft abdachen und allmählich in Hochflächen übergehen, auf der Ostseite 
des einen in die Hochfläche von Schwaben und auf der Westseite des andern 
in die Hochfläche von Lothringen. Diese Gebirge sind östlich der Schwarz¬ 
wald und westlich die Vogesen oder das Wasgaugebirge, mit ihren beider¬ 
seitigen Fortsetzungen. 
Der Schwarzwald gehört, besonders in seiner südlichen Hälfte, sowohl 
durch die Bedeutendheit seiner Gesammterhebung und die Mächtigkeit seiner 
Rücken, als auch durch die Höhe seiner Gipfel, von denen der Feldberg fast 
4600' absoluter Höhe erreicht, zu den stattlichsten deutschen Mittelgebirgen, 
unter denen er nur durch das Riesengebirge übertroffen wird. Die Gipfel 
ragen nicht als freie Felsenspitzen empor; sie wölben sich vielmehr zu ab-
	        
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