Full text: Alte Geschichte (Theil 1)

Solon und Krösus. 
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durchaus nach dein Tempel fahren, aber die Rinder kamen nicht zu 
rechter Zeit von dem Felde. Als nun die Stunde da war, spannten 
sich die beiden Jünglinge selber vor und zogen den Wagen, und auf 
dem Wageu saß ihre Mutter. So fuhren sie dieselbe einen Weg von 
fünf und vierzig Stadien bis zu dem Tempel. Also thaten sie, und 
die ganze Versammlung war Zeuge ihrer That. Da erlangten sie 
das beste Lebensende, und es zeigte Gott dadurch an, daß dem Men¬ 
schen besser sei, zu sterben, denn zu leben. Denn die Argeier, so um¬ 
herstanden, priesen der Jünglinge Gesinnung, und die Argeierinnen 
hingegen priesen die Mutter selig, daß ihr solche Kinder zu Theil ge¬ 
worden. Aber die Mutter, voll inniger Freude über die That und 
die Worte, trat vor das Bild der Göttin und betete, daß sie dem 
Kleobis und dem Biton, ihren Kindern, die ihr so große Ehre er¬ 
wiesen, zu Theil werden ließ den besten menschlichen Segen. Und 
nach diesem Gebet, nachdem man geopfert und das Mahl gefeiert, 
schliefen die Jünglinge ein in dem Tempel und standen nimmer wieder 
auf, sondern das war ihres Lebens Ende. Die Argeier aber errich¬ 
teten ihnen Bildsäulen und brachten dieselben als Weihgeschenke gen 
Delfi, weil sie so gute Menschen gewesen. 
Diesen also gab Solon die zweite Stelle in der Glückseligkeit. Krö¬ 
sus aber ward unwillig und sprach: Mein Freund von Alhena, ist 
Dir denn meine Glück so gar nichts, daß Du nicht einmal mit gerin¬ 
gen Bürgern mich gleichsetzest? 
Solon aber sprach: O Krösus, mich, der Du weißt, wie neidisch 
und voller Wandel die Gottheit ist, mich fragest Du um der Menschen 
Schicksal? In der langen Zeit unseres Lebens muß man Vieles er¬ 
leben und Vieles erdulden, das man gerne nicht erlebte. Denn ich 
setze des Menschen Alter auf siebenzig Jahre. Diese siebenzig Jahre 
machen fünf und zwanzig tausend und zwei hundert Tage, und da 
rechne ich noch keinen Schaltmond. Soll nun ein Jahr um das an¬ 
dere noch einen Blond dazu haben, daß die Zeiten gehörig Zusammen¬ 
treffen, so geben die siebenzig Jahre noch fünf und dreißig Schalt¬ 
monde, das macht tausend und fünfzig Tage. Von allen diesen 
Tagen, die auf siebenzig Jahre betragen sechs und zwanzig tausend 
zwei hundert und fünfzig Tuge; geht es uns nun an keinem einzigen 
gerade so, wie an den andern. Daher, o Krösus, ist der Mensch 
eitel Zufall. Du bist, wie ich sehe, gewaltig reich und Herr über 
viele Völker; das aber, darum Du mich fragst, kann ich Dich nicht
	        
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