Der Kampf um Troja.
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nach dem Grunde seines Kummers. Da schüttete er der Teuren sein
Herz aus und erklärte ihr, den Tod des Freundes an Hektor rächen
zu wollen. Darauf sprach Thetis: „Ich wehre dir nicht; denn gerecht
ist dein Kummer und löblich der Entschluß, den Toten zu ehren und
den Freunden wieder zu helfen. Aber was wolltest du waffenlos, wie
du jetzt bist, ausrichten? Warte also bis morgen! Bald komme ich
zurück mit einer neuen Rüstung, die dir Hephästos selbst schmieden wird."
Eos, die Göttin der Morgenröte, stieg im Osten herauf, als Thetis
mit den herrlichen Waffen im Zelte ihres lieben Sohnes ankam. Noch
fand sie ihn hingestreckt neben Patroklos' Leichnam und um ihn her
die Klageweiber. Achilleus aber erfaßte in wilder, rachlustiger Kampfes¬
freude das kunstvolle Werk des Schmiedegottes, legte die Rüstung an,
schritt zu den Schiffen und Zelten der übrigen Griechen hin und schrie
sie mit seinem furchtbaren Rufe wach. Da jauchzten alle, als sie seine
Stimme wieder hörten, die für sie so lange geschwiegen hatte. Sie sprangen
auf und eilten dem bekannten Versammlungsplatze zu. Nachdem sich
alle der Ordnung nach gesetzt hatten, ergriff Achilleus das Scepter und
sprach: „Sohn des Atreus, laß uns versöhnt sein; denn das war ja
längst unser aller Wunsch. Meinen Zorn habe ich besänftigt, da Un¬
versöhnlichkeit dem edlen Manne nicht ziemt. Laß uns nun eilen, da¬
mit wir die Völker ins Treffen führen; ich meine, die Troer sollen
heute nicht mehr daran denken, unsere Schiffe in der Nähe zu sehen!"
Ein hell aufschallendes Jubelgeschrei ließ ihn nicht weiter reden.
Dies einzige Wort, daß er versöhnt sei, erfüllte alle Herzen mit Froh¬
locken. Der edle Agamemnon aber bekannte in seiner Herzensfreude,
daß ihn längst seine Ungerechtigkeit gegen den Helden gereut habe und
daß er nun bereit sei, ihn durch reiche Geschenke vollends zu versöhnen.
Achilleus erwiderte freundlich: „Reiche mir die Geschenke oder behalte
sie; ich bestehe nicht darauf. Nur laß uns des Krieges gedenken und
ohne Verzug die Scharen gegen den Feind führen; denn heute wird
es der Arbeit viel geben, und große Taten müssen vollbracht werden!"
Die Troer standen bereits gerüstet im Felde. Wie der brausende
Sturmwind einen Haufen trockenen Laubes im Herbste vor sich her treibt,
so rasch und dicht gedrängt flogen die Scharen der Griechen gegen die
Feinde heran, von ihren Führern getrieben.
Trotzig erwartete Hektor seinen Gegner. Aber kaum nahte ihm
der ungeheure Mann mit dem entsetzlichen Blicke und den gewaltigen
Armen, kaum hörte er dessen wildes Hohngeschrei, als ihm plötzlich
aller Mut entsank; ein unbesiegbarer Trieb jagte ihn von dannen und be¬
flügelte seine Schenkel. Er flog längs der Stadtmauer hin wie die Taube,
die dem Habichte entrinnen möchte. Aber wie der Habicht mit stärkerer
Kraft den schüchternen Vogel verfolgt, so auch Achilleus den fliehenden
Metier u. Nagel. Deutsches Lesebuch. ?lusg B. C. Teil II. 9