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Heinrich Heine.
heilen getrunken habe, und wie viele Bergleute und er selbst ganz be¬
sonders sich gerne würden totschlagen lassen sür den lieben Herzog und
das ganze Haus Hannover.
Innig rührt es mich jedesmal, wenn ich sehe, wie sich dieses Gefühl
der Unterthanentreue in seinen einfachen Naturlauten ausspricht. Es ist
ein so schönes Gefühl! Und es ist ein so wahrhaft deutsches Gefühl!
Andere Völker mögen gewandter sein und witziger und ergötzlicher, aber
keines ist so treu, wie das treue, deutsche Volk. Wüßte ich nicht, daß die
Treue so alt ist wie die Welt, so würde ich glauben, ein deutsches Herz
habe sie erfunden. Deutsche Treue! sie ist keine neu erfundene Redensart.
Wie diese deutsche Treue hatte uns jetzt das kleine Grubenlicht ohne
viel Geflacker still und sicher geleitet durch das Labyrinth der Schachte
und Stollen; wir stiegen hervor aus der dumpfigen Bergnacht, das
Sonnenlicht strahlte: — Glück auf!
Die meisten Bergarbeiter wohnen in Klansthal und in dem damit ver¬
bundenen Bergstädtchen Zellerfeld. Ich besuchte mehrere dieser wackern
Leute, betrachtete ihre kleine, häusliche Einrichtung, hörte einige ihrer Lieder,
die sie mit der Zither, ihrem Lieblingsinstrumente, gar hübsch begleiten,
ließ mir alte Bergmärchen von ihnen erzählen und auch die Gebete her¬
sagen, die sie in Gemeinschaft zu halten Pflegen, ehe sie in den dunkeln
Schacht hinuntersteigen, und manches gute Gebet habe ich mitgebetet.
103. Das Jlsethal.
Je tiefer wir vom Brocken hinabstiegen, desto lieblicher rauschte das
unterirdische Gewässer, nur hier und da unter Gestein und Gestrüppe blinkte
es hervor und schien heimlich zu lauschen, ob es ans Licht treten dürfe, und
endlich kam eine kleine Welle entschlossen hervorgesprungen. Nun zeigte sich
die gewöhnliche Erscheinung: ein Kühner macht den Ansang, und der große
Troß der Zagenden wird plötzlich zu seinem eigenen Erstaunen von Mut
ergriffen und eilt, sich mit jenem ersten zu vereinigen. Eine Menge anderer
Quellen hüpften jetzt hastig aus ihrem Versteck, verbanden sich mit der zu¬
erst hervorgesprungenen, und bald bildeten sie zusammen ein schon bedeuten¬
des Bächlein, das in unzähligen Wasserfällen und in wunderlichen Win¬
dungen das Bergthal hinabrauscht. Das ist nun die Ilse, die liebliche,
süße Ilse! Sie zieht sich durch das gesegnete Jlsethal, an dessen beiden
Seiten sich die Berge allmählich höher erheben, und diese sind zu ihrem
Fuße meistens mit Buchen, Eichen und gewöhnlichem Blattgesträuche be¬
wachsen, nicht mehr mit Tannen und anderem Nadelholz. Denn jene
Blätterholzart wächst vorherrschend auf dem Unterharze, wie man die Ost-