Full text: (6., 7. [und 8.] Schuljahr) (Teil 4)

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nur dürftiges Gras hervor, zwischen welehem hin und wieder 
Heidekraut sich durchdrängt. Zum Kornbau ist er wohl 
kaum mehr geeignet, und nur das genügsame Schaf findet 
hier karge Nahrung. Wabhrlich, die Gegend ist öde; doch 
wir sind bald am Ziel. Vor uns liegt ein Platz, eingefriedet 
von einem kahlen Erdwall, durch welchen eine Pforte ein- 
fachster Art führt. Uber derselben stehen auf einem schwarzen 
Brett in schmucklosen Lettern dié Worte: „Heimatstätte für 
Heimatlose.“ Darunter liest man: „Offenbarung Joh. 14, 18.“ 
„Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben. Ja, der 
Geist spricht, dals sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre 
Werke folgen ihnen nach.“ Mir sind am Begräbnisplat- 
für die Toten des Meeres. In früheren Tagen wurden die 
Leichname, welche die See ans Ufer warf, in den Dünen 
eingescharrt; ein uraltes Vorurteil gegen die Armen mochte 
woll die Ursache solcher Läeblosigkeit sein. Galt es doch 
auch bei den Hexenprozessen als ein bedenkliches Zeichen, 
wenn das unglückliche Opfer des Aberglaubens bei An- 
wendung der ,Wasserprobe“ nicht zu Boden sank, und der 
fromme Wahn, dass das reine Element den schmutzigen Ver- 
brecher nicht in sich dulde, reicht zurück bis auf die Zeit 
der Ordalien. Spätere Jabhrhunderté haben humanere An- 
schauungen gebracht; aber es dauerte lange, ehe für die 
armen zur See Verunglückten Wandel geschafft wurde. Die 
Heimatstättes auf Sylt vurde 1855 angelegt. 
Da der kleine Friedhof in Westerland nur ungenügenden 
Raum bot, so hat ein menschenfreundlicher Geistlicher, 
Erenzen mit Namen, es durchgesetzt, dals für die Leichname, 
die am Westerländer und Rantumer Strand anspülen, ein 
eigener Gottesacker angelegt ward. Es stehen stets einige 
Sãrge für sie bereit, bescheiden, wie die der Armen, welche 
auf Gemeindekosten beerdigt werden; aber eine kurze Rede 
des Dorfpredigers und ein Choral fehlen nicht bei der ernsten 
Peier, die ergreifender wirkt als manches prunkvolle Begräbnis. 
Wer die Premdlinge sind, die hier zur letzten Ruhe gebettet 
werden, weiss niemand; — es sind ja Verschollene. Doch wird 
von jeder Leiche ein genaues Signalement in ein hierfür be— 
stimmtes Bueh eingetragen, damit etwa sich meldenden An- 
gehörigen das Grab gezeigt werden kann. Die Nummer in 
diesem Heft bleibt auch die Nummer des Namenlosen, und 
mit diesem Geleitschein wird er der Mutter VDrde übergeben. 
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