Full text: (6., 7. [und 8.] Schuljahr) (Teil 4)

210 — 
125. Rhãtien. 
Was die gesamte Schweiz in ihrem Umfang Schönes 
oder Schreckliches, an Wundern der Natur oder Seltsames 
an Schicksalen und Sitten der Völkerschaften zeigt, das 
steht wieder in einem einzigen ihrer Kantone mit den schroffsten 
Gegensãätzen zusammengedrängt. Auf einem BPlächenraum 
von kaum anderthalb Bundert Quadratmeilen erblickt man, 
wie nirgends, ein verworrenes Labyrinth der Thäler von den 
höchsten Bergen eingezäunt. Schon Dietrich von Verona, 
der grosse Gotenkönig, hiels dies Land ein Netz (retia, 
Rhätien), aus Gebirgen gestrickt. — Die Berge strecken 
sich meistens jäh und kühn, in wildem Pormenwurf, vom 
Thalboden in die höchsten Lüfte. Ihre äulsersten Gipfel 
glänzen unter ewigem Schnee, mehr denn 3200 m über 
dem Spiegel des Meeres. In den Schluchten und Zwischen- 
rũumen der Urfelspyramiden dehnen sich droben Schneefelder 
und Liswüsten aus, Man zählt da 241 Gletscher. Nur 
scheue Gemsen ziehen darüber; einsame Bären, Wölfe und 
Murmeltiere kennen in benachbarten Pelsen ibre Höhblen; 
Lĩämmergeier und Steinadler schweben über den stummen 
PEinöden am Himmel. 
Unterhalb der Rismeere breitet sich dunkelgrün der 
Teppich der Alpenwiesen aus, nur im höchsten Sommer von 
Viesbherden besucht. Spannhohe Weidengesträuche Lapplands 
erheben sich in der Nähe des unvergänglichen Winters. Erst 
weiter abwärts beginnt kräftigeres Pflanzenleben, und Bäume 
erheben sich. Aber es sind nicht die Bäume der milderen 
Gegenden, sondern Lärchtannen und Cedern dibiriens, Arven 
mit Zapfen voll essbarer Zirbelnüsse. 
Die Thalgegenden hinwieder gleichen an Anmut oft den 
lieblichsten der Schweiz, oft denen Tyrols an rauher Majestät. 
Zwar zeigen die Halden des Gebirgs breite und tiefe Narben, 
welehe die Wut der Bergströme seit Jahrtausenden hinter- 
liess, aber nicht so oft, wie in Iyrol, weite Strecken kahbler 
Felsen, alles Wiesenschmucks und aller Wälder beraubt, in 
schauerlicher Nacktheit. Manche jener Bergströme sind 
schon seit undenklicher Zeit versiegt oder haben sich zwischen 
Klippen andere Bahnen gewählt. Doch verraten noch ihren 
Memaligen Ausfluss ins Thal viele gegen den Fuls des Ge— 
birges sanft anschwellende Hügel, kegelförmige Anhäufungen
	        
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