Full text: (6., 7. [und 8.] Schuljahr) (Teil 4)

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Da geschah es eines Morgens, daß, nachdem der alte Jansen 
im Comptoit lange den Kopf geschüttelt und dann noch länger 
gedankenvoll von seinen Briefen weg hinauf an die braungetäfelte 
Zimmerdecke so starr geschaut hatte, als wolle er die Fliegen 
oben zählen, er sechsmal nacheinander mit seinem Schwanenkiel 
in das große, silberne Tintenfaß tunkte, die übervolle Feder ge— 
waltig auf den Tisch stampfte und dadurch den vor sich liegenden 
angefangenen Brief, von oben bis unten mit Tintenflecken mar⸗ 
moriert, auf einmal fertig machte. Hermann, ihm gegenüber⸗ 
sitzend, fuhr fast erschrocken vom Sitze auf und sagte: Ei, Jansen, 
haben wir denn heute St. Veits⸗Tag, oder seid Ihr vielleicht zum 
Astenmal in Eurem Leben so früh schon in den Ratskeller ge⸗ 
raten und habt von einem spanischen Fäßchen gekostet?“ „Nein, 
Herr,“ antwortete Jansen mürrisch, aber so geht's nimmer; 
bei uns in Deutschland is)s aus mit dem Gewinn auf dem ge⸗ 
woͤhnlichen Wege bei dem verwetterten Kriege. Was hilft uns 
unser großes Schiff, das immer an der Küsle wie eine Schnecke 
sich hinwindet, um uns die sündteuren Waren von den geizigen 
Mynheern aus Holland beizuholen? Wir müssen zwanzigfach 
bezahlen, was wir einfach aus der ersten Hand haben könnten 
bon ihren Nachbarn, den Engländern und in Amerika selbst. 
Gebt mir auf ein Jahr das Schiff und soviel Geld und Nürn⸗ 
berger Waren als möglich, und laßt mich nach der neuen Welt 
fahren; Ihr wißt, der alte Jansen war schon zweimal dort und 
Helfleht den Kram. Zwar der alte Herr war auch immer ängst⸗ 
lich und meinte, es lasse sich ja ohne großes Waͤgnis schon bei 
uns was gewinnen; aber daäs ist nun anders geworden, drum 
muß man's anders treiben.“ 
Da standen die beiden Herren auf, gingen lange im Zimmer 
auf und ab und beratschlagten. Nachdem nun jedes Für und 
Wider hinreichend erwogen worden, wie es verständigen Männern 
ziemt, wurde beschlossen, daß Jansen reisen sollte. 
vBier Wochen später schritt Herr van Steen in seinem Rats⸗ 
herrngewande mit Jansen neben und zwei schwer bepackten 
Dienern hinter sich dem Hafen zu. Die den ganzen Hafendamm 
bedeckende Menge des Volkes, die unter Musik und Jauchzen 
der Zurüstung und Abfahrt des großen Handelsschiffes harrte, 
machte, als Gruit mit Jansen ankam, ehrerbietig Platz; denn 
der wackere Mann war beliebt und geachtet von alt und jung, 
vornehm und gering. Einige Ratsherren, Freunde der beiden, 
raten freundlich grüßend hinzu, und der ältere, ein Mann mit
	        
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