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der dem Zwerg Alberich die unsichtbar machende Tarnkappe im
heißen Kampfe entriß, derselbe Siegfried, der auch einen Lind¬
wurm schlug und in dessen Blute sich badete, daß seine Haut wie
Horn unverwundbar wurde. Solchen Helden sollen wir freund¬
lich grüßen, daß wir nicht des schnellen Recken Haß auf uns
laden mögen." Siegfried ward also herrlich empfangen iinb köst¬
lich bewirtet. Fröhliche Kampfspiele wurden aus dem Hofe des
Kvnigspalastes gehalten; verstohlen schaute Kriemhild durch das
Fenster, und im Anschauen des starken Heldenjünglings vergaß
sie alle Kurzweile, alle Spiele mit den Gefährtinnen, alle sinnigen
Beschäftigungen der stillen Jungfraueneinsamkeit. Aber ein ganzes
Jahr weilte Siegfried am Hofe des Burgunderkönigs, irnd noch
hatte er die Maid, um welche er werben wollte, nicht einmal
gesehen. Da erscholl die Kunde von einem Kriegszuge des Sachsen-
königs Liutger, der mit dem Könige Liutgast von Dänemark der
Burgunden Land bedrohte. Siegfried zog mit dem Heere der
Burgunden in die Sachsengaue; im mörderischen Kampfe besiegte
er den Düueulönig Liutgast und nahm ihn gefangen, worauf
Liutger mit seinen Sachsen sich des Helden Übermacht ergab.
Die Boten kommen vom Heere nach dem Rhein, den fröhlichen
Sieg zu verkünden, und einen derselben läßt Kriemhild vor sich
kommen. „Nun sage mir liebe Botschaft," sagte sie; „ich gebe
dir all mein Gold und will dir, sagst du wahre Kunde, lebens¬
lang hold sein." Da sprach der Bote: „Niemand ist herrlicher
zu Ernst und Streit geritten, edle Königin, als der Gast ans
Niederland. Die Geiseln, die Ihr aus Sachsen an den Rhein
werdet kommen sehen, hat seine Heldenkraft bezwungen und hierher
gesandt." Voll frohen Dankes hieß die Königsjungfran dem
willkommenen Boten zehn Mark Goldes und reiche Kleider geben,
und schweigsam schaute sie seitdem, am Fenster harrend, hinaus
auf den Heerweg, auf welchem die Sieger an den Rhein heim¬
kehren sollten. Endlich erschien das siegesfrohe Ritterheer, und
die Jungfrau sah das fröhliche Getümmel vor den Pforten der
Burg, auf dem weiten Plane am Rhein, und unter den vielen
Helden ihn, den Helden aller Helden, geehrt und bewundert wie
keinen; aber züchtig und still verblieb sie in ihrer engen Kemnate.
Da ward endlich ein großes heiteres Ritterspiel gehalten, und an
dem fröhlichen Psiugstfeste zogen von nah und fern die Höchsten