Full text: (Für die mittleren Klassen) (Abteilung 2, [Schülerband])

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melden, daß Liutger Frieden halten wolle. Doch wurde das Ge¬ 
folge der Könige zu einer großen Jagd entboten. Das Herz 
Kriemhildens aber ward von bangen Ahnungen erfüllt, und als 
Siegfried von ihr gehen wollte, da bat sie ihn unter Thränen, 
daß er der Jagd fern bleibe. „Mir träumte," sprach sie, „wie 
zwei wilde Eber nach dir sprangen, und die Heide wurde rot von 
deinem Blut. Zwei Berge stürzten nieder und deckten dich mit 
ihren Trümmern." So sprach sie mit bangender Sorge; aber 
Siegfried suchte sie mit freundlichen Worten zu beruhigen. „Nie¬ 
mand trägt mir Haß," sprach er, „und deine Brüder sind mir 
hold. Auch habe ich es nicht anders um sie verdient." Und so 
schied er von ihr und zog mit Günther auf die Jagd. 
Die Jagd war beendet; Held Siegfried hatte das meiste 
Wild erlegt. Ermüdet setzten sich die Recken gegen Abend auf 
einer Waldwiese zum Mahle nieder. Allein, wonach die durstigen 
Jagdgesellen am meisten gelüstete, der Wein fehlte; Hagen hatte 
ihn mit kluger List an eine andere Stelle schaffen lassen. Und 
da Siegfried zu trinken begehrte, schlug der verräterische Mann 
vor, sie alle sollten nach einem Waldbrunnen gehen, den er in 
der Nähe wisse. Sogleich brachen sie dahin auf. Wie sie aber 
die breite Linde von ferne sahen, an deren Fuße die Quelle ent¬ 
sprang, sprach Hagen: „Man rühmte mir viel, daß niemand dem 
Siegfried im Laufe gleichkomme. Ist dem so, so lasse er es 
uns schauen." „Wohlan," sprach Siegfried, „legt ihr die Rüstung 
ab; ich aber will Jagdgewand und Speer und Schild behalten. 
Laß sehen, wer zuerst das Ziel erreicht." Der Wettlauf begann, 
und wilden Panthern gleich sprangen Hagen und Günther durch 
das hohe Gras dahin; doch war Siegfried zuerst am Ziel. Aber 
wie sehr ihn dürstete, er trank nicht eher, als bis Günther seinen 
Durst gelöscht hatte. Dann stellte er die Waffen zur Seite, 
beugte sich nieder und trank. Da ergriff der treulose Hagen den 
Speer des Helden und bohrte dem knieenden die Waffe in den 
Rücken, dort wo das Kreuz ihm die verwundbare Stelle bezeich¬ 
nete. Zum Tode getroffen sprang Siegfried auf, ergriff den 
Schild — das Schwert des Helden hatte Hagen verborgen — 
und stürzte damit auf den Mörder los. Grimmig schlug der 
Todwunde auf ihn ein, daß die Edelsteine aus dem Schildraud 
sprangen und Hagen auf den Boden niedersank. Der Wald hallte
	        
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