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melden, daß Liutger Frieden halten wolle. Doch wurde das Ge¬
folge der Könige zu einer großen Jagd entboten. Das Herz
Kriemhildens aber ward von bangen Ahnungen erfüllt, und als
Siegfried von ihr gehen wollte, da bat sie ihn unter Thränen,
daß er der Jagd fern bleibe. „Mir träumte," sprach sie, „wie
zwei wilde Eber nach dir sprangen, und die Heide wurde rot von
deinem Blut. Zwei Berge stürzten nieder und deckten dich mit
ihren Trümmern." So sprach sie mit bangender Sorge; aber
Siegfried suchte sie mit freundlichen Worten zu beruhigen. „Nie¬
mand trägt mir Haß," sprach er, „und deine Brüder sind mir
hold. Auch habe ich es nicht anders um sie verdient." Und so
schied er von ihr und zog mit Günther auf die Jagd.
Die Jagd war beendet; Held Siegfried hatte das meiste
Wild erlegt. Ermüdet setzten sich die Recken gegen Abend auf
einer Waldwiese zum Mahle nieder. Allein, wonach die durstigen
Jagdgesellen am meisten gelüstete, der Wein fehlte; Hagen hatte
ihn mit kluger List an eine andere Stelle schaffen lassen. Und
da Siegfried zu trinken begehrte, schlug der verräterische Mann
vor, sie alle sollten nach einem Waldbrunnen gehen, den er in
der Nähe wisse. Sogleich brachen sie dahin auf. Wie sie aber
die breite Linde von ferne sahen, an deren Fuße die Quelle ent¬
sprang, sprach Hagen: „Man rühmte mir viel, daß niemand dem
Siegfried im Laufe gleichkomme. Ist dem so, so lasse er es
uns schauen." „Wohlan," sprach Siegfried, „legt ihr die Rüstung
ab; ich aber will Jagdgewand und Speer und Schild behalten.
Laß sehen, wer zuerst das Ziel erreicht." Der Wettlauf begann,
und wilden Panthern gleich sprangen Hagen und Günther durch
das hohe Gras dahin; doch war Siegfried zuerst am Ziel. Aber
wie sehr ihn dürstete, er trank nicht eher, als bis Günther seinen
Durst gelöscht hatte. Dann stellte er die Waffen zur Seite,
beugte sich nieder und trank. Da ergriff der treulose Hagen den
Speer des Helden und bohrte dem knieenden die Waffe in den
Rücken, dort wo das Kreuz ihm die verwundbare Stelle bezeich¬
nete. Zum Tode getroffen sprang Siegfried auf, ergriff den
Schild — das Schwert des Helden hatte Hagen verborgen —
und stürzte damit auf den Mörder los. Grimmig schlug der
Todwunde auf ihn ein, daß die Edelsteine aus dem Schildraud
sprangen und Hagen auf den Boden niedersank. Der Wald hallte