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Kerner.
c. Nach Jahren aber saß derselbe Mann
Bei Herrn und Damen an der Tafelrunde,
Wo Sonnenlicht das Silber überspann,
Und in gewählten Reden floh die Stunde.
7. Auch hier lag Brot, weiß wie der Wirtin Hand,
Wohlschmeckend in dem Dufte guter Sitten;
Er selber hielt's nun fest und mit Verstand,
Doch einem Fräulein war ein Stiick entglitten.
8. „O, lassen Sie es liegen!" sagt sie schnell;
Zn spät, schon ist er untern Tisch gefahren
Und späht und sucht, der närrische Gesell,
Wo kleine seidne Füßchen stehn zu Paaren.
s. Die Herren lächeln, und die Damen ziehn
Die Sessel scheu zurück vor dem Beginnen;
Er taucht empor und legt das Brötchen hin,
Errötend hin auf das damastne Linnen.
10. „Zu artig, Herr!" dankt ihm das schöne Kind,
Indem sie, spöttisch lächelnd, sich verneigte;
Er aber sagte höflich und gelind,
Indem er sich gar sittsam tief verbeugte:
11. „Wohl einer Frau galt meine Artigkeit,
Doch Ihnen diesmal nicht, verehrte Dame!
Es galt der Mutter, die vor langer Zeit
Entschlafen ist in Leid und bittrem Grame."
Ges. Werke, X, S. 144 f.
Iustnins Aerirer.
284. Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe.
1. Auf der Burg zu Germersheim,
Stark am Geist, am Leibe schwach,
Sitzt der greise Kaiser Rudolf,
Spielend das gewohnte Schach.
2. Und er spricht: „Ihr guten Meister,
Ärzte, sagt mir ohne Zagen:
Wann aus dem zerbrochnen Leib
Wird der Geist zu Gott getragen?"
3. Und die Meister sprechen: „Herr!
Wohl noch heut erscheint die Stunde."
Freundlich lächelnd spricht der Greis:
„Meister! Dank für diese Kunde!"