Full text: [Teil 3, [Schülerband]] (Teil 3, [Schülerband])

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brauchen und uns zu nutze machen? Warum hoffen wir ohne genug— 
samen Grund? Warum lassen wir uns endlich nicht als vernünftige 
Menschen den heiligen Willen Gottes, seine weise Einrichtung der Welt, 
seine weise Regierung der Zeit in zufriedener Gelassenheit gefallen und 
bedienen uns der Jahre, die uns die weise Vorsehung gönnt, und die 
für uns alle Zeit die besten sind, so wie es unsere Gemütsruhe, die 
allgemeine Wohlfahrt und unsere Glückseligkeit erfordert? Kluge Christen, 
glückliche Seelen, die sich in die Zeit zu schicken wissen; unglückliche 
Thoren, welche ohne Not klagen und ohne Grund hoffen! Lessing. 
101. Das Wort Natur in seinen verschiedenen Bedeutungen 
Unendlich reich ist die Welt der Begriffe, arm dagegen die Sprache, 
die diese Begriffe verkörpern soll. So kommt es denn, daß wir 
für mehrere derselben nur ein Wort gebrauchen können, und die 
Schwierigkeiten werden noch vermehrt dadurch, daß die einzelnen 
Begriffe sehr oft nicht scharf von einander geschieden sind, sondern 
allmählich in einander übergehen und verschmelzen. Deshalb ist es 
Aufgabe des denkenden Menschen, sich selbst immer Rechenschaft darüber 
zu geben, ob sich Wort und Begriff vollständig decken, ob seine Zunge 
sagt, was der Geist denkt, in eins zusammengefaßt, er muß sich über 
die verschiedenen Bedeutungen des von ihm angewendeten Wortes voll— 
ständig klar sein. Wie selten geschieht dies aber! Besonders bei 
Wörtern, welche nicht sinnliche Gegenstände bezeichnen, sondern die 
dem Reiche der Ideen entnommen sind, zeigt sich am auffallendsten, 
wie wenig die Menschen das, was sie wollen, auszudrücken befähigt 
und bestrebt sind. Im gewöhnlichen Verkehre wird gewiß jedermann 
die Münze, die er ausgibt und einnimmt, genau in Augenschein nehmen, 
damit er nicht verfälschte bekömme, mit den Wörtern aber, dieser geistigen 
Scheidemünze, nimmt man es nicht so genau, und gibt und empfängt 
unbedenklich wertlose Spielpfennige statt edlen Goldes. 
Wie verschiedene Bedeutungen man einem Worte unterlegen könne, 
zeigt uns, um eines der vielen Beispiele herauszugreifen, der Ausdruck 
„Natur“. Da spricht einer von der Natur einer Sache, der andere 
findet etwas ganz natürlich, dieser lobt die freie Natur, und jener sinnt 
über das Walten der Naturkräfte nach. Was ist demnach Natur? 
Der eine wird es so, der andere anders beantworten — und jeder 
hat recht, eben für den von ihm angenommenen Fall. 
Gehen wir auf den Wortbegriff ein, so ist die Natur das Gegebene, 
das Gewordene, ein Gegensatz zum Ewigen und Unendlichen, zu Gott. 
Natur ist das, was durch den schöpferischen Willen des Allmächtigen 
hervorgerufen wurde, täglich aufs neue entsteht und so lange dem Dasein 
angehören wird, als es dem erhaltenden Willen des Allmächtigen gefällt. 
Insoferne würde der Begriff ‚Natur“ dem Begriffe „Welt“ nahe kommen, 
insbesondere da auch Natur in einen bewußten Gegensatz zum Geist
	        
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