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wir die Außersten, wohin diese Bildungsweisen führen, daß ich mich
so ausdrücke, den Stockgelehrten und den Stockhandwerker.
Ein solcher Gelehrter lebt ganz in Gedanken, weiß viel, kann
nichts. Seine Bildung hat ihn von der gegenwärtigen Welt getrennt,
seine Studierstube und Bibliothek sind seine Welt. So entfremdet er
sich allen bürgerlichen Angelegenheiten und wird völlig ungeschickt zur
Behandlung derselben. Mit der Gegenwart unbekannt, versetzt er sich
dafür durch den Zauberstab seiner Bücher in ferne Gegenden
und Zeiten und weiß von Athen und Rom mehr zu erzählen, als
von seiner Vaterstadt. Er kennt den jonischen, attischen und dorischen
Dialekt, aber nicht plattdeutsch und oberdeutsch ; er weiß genau den
Weg, welchen Xenophon mit seiner Schar nahm, aber nicht den Weg
zum nächsten Dorfe. Ist er Mathematiker, so berechnet er alle Formeln
der Mechanik, kann aber nicht die Einrichtung einer Handmühle angeben,
geschweige denn eine bauen. Ich wiederhole, ich schildere einen
Stockgelehrten, und um nicht einseitig und ungerecht zu scheinen, will
ich versuchen, den Stockhandwerker ünd Künsiller zu zeichnen. Dieser
lebt ganz der Gegenwarit. In stetem Hantieren und Schaffen wirk—⸗
licher Gegenstände begriffen, zu dieser Thätigkeit selbst genötigt, um
zu leben, blickt er nur auf seine nächsten Angelegenheiten, seine Werk—
statt, sein Haus, seinen Wohnort; drüber hinaus erweitert er seinen
Blick nicht, etwa durch Lesen von Büchern. Er frägt nicht darnach,
wie seine Kunst von andern geübt werde, ob man Fortschritte in der—
selben gemacht, sondern er treibt dieselbe ganz so, wie er sie erlernt
hat, ohne Trieb, sich zu vervollkommnen, oder das, was er thut, in Worte
zu fassen, um es andern mitzuteilen. Als Meister unterrichtet er
Jungen und Gesellen mehr durch die That, mehr durch Vorthun als
durch Vorreden.
Es scheint, als würden Gelehrte, Handwerker und Künstler der
Art, wie ich sie eben schilderte, immer seltener. Von jeher trat
das Leben der Beschränktheit gelehrter Bildung störend in den Weg.
Der Arzt, der Richter und Sachwalter, der Prediger werden durch
ihre Ämter mehr oder minder gezwungen, den Schulstaub abzuschütteln,
die Augen für die Gegenwart zu öffnen, sich in Verhältnisse zu schicken,
entschlossen zu leben und zu haͤndeln.
In den letzten Jahrhunderten trat überhaupt der Gelehrte dem
Leben näher, und anderseits sind Künstler und Handwerker aus der
eng beschränkten, rein instinktartigen Thätigkeit zu einem freieren Umblick
und größerer Besonnenheit erwacht. So näherten sich Gelehrte und
Nichtgelehrte einander. KevNaumer.
112. Üüber den Wert des Geldes.
So lange wir auf diesem Erdballe leben, haben wir ein fort—
dauerndes Gefühl einzelner Bedürfnisse, welche die Fortsetzung und