22. Vor Sedan.
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zu verlassen. Dort in der Ferne, an dem Absall des hohen
Plateaus, aus welchem die Franzosen dem deutschen Drang
widerstehen, wird eine ungewöhnliche Bewegung erkennbar, die
Bayern des Hauptquartiers haben ein großes Fernrohr auf¬
gestellt, durch die Gläser sieht man den verzweifelten An¬
sturm französischer Reitermassen gegen die Kompagnien des
11. Korps. Wieder ergreift die Aufregung alle Anwesenden,
die Rücksicht aus die nahen Feldherren vermag laute Ruse
nicht zu unterdrücken. Auch dem Feinde folgt warmes Mit¬
gefühl; denn im nächsten Augenblick ist der Schwall ver¬
rauscht und die Stätte des Kampfes mit weißen Flecken wie
übersät, es sind die getöteten Schimmel der französischen
Reiterbrigade.
Es ist Nachmittag, das Ohr hat sich an das Knattern
und Dröhnen gewöhnt, eine Abspannung wird fühlbar, man
empfängt mit merkwürdiger Ruhe eine Siegesnachricht nach
der andern, man vernimmt, daß die Festung Sedan sich er¬
geben will, eine weiße Fahne wird einen Augenblick sichtbar,
das Zeichen wird wieder abgerissen, im Vordergründe jagen
die Batterien der Württemberger und der Bayern. Noch
einmal brüllt der Donner der Schlacht lauter als je zuvor,
und die weißen Wölkchen der Zerstörung schweben über den
Häusern der Festung, mit Befriedigung sieht man auf die
unermeßliche Rauchsäule, welche wie aus einem feuerspeienden
Berge aus der Mitte von Sedan zum Himmel steigt. Jetzt
wird das weiße Tuch wieder sichtbar, der Geschützdonner ver¬
stummt, und ein wilder Freudenruf erschallt aus der Tiefe und
von den Höhen. Und wenn endlich der Augenblick kommt,
der dieser Schlacht einen so persönlichen und dramatischen
Schluß gibt, wie ihn wenig andere haben, wenn General
Reille vor die Augen des obersten Kriegsherrn tritt und die
Ergebung des Kaisers Napoleon überbringt, da wird der
Zuschauer allerdings von dem Gedanken ergriffen, daß er
das Größte erlebt hat, was dem Menschen zu schauen und
durchzufühlen vergönnt ist. Aber über der stolzen Befrie¬
digung schwebt vielleicht schon die Sorge, daß diese Ergebung
nicht das Ende des Kampfes, sondern der Anfang eines neuen
Krieges sei.
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