Full text: [Klasse 4 bis 1 (Band 5A, 5B und 6), [Schülerband]] (Klasse 4 bis 1 (Band 5A, 5B und 6), [Schülerband])

8 
Lesestücke aus der Kriegsliteratur. 
brechen, über den niemand ohne Lebensgefahr auch nur eine Sekunde sicher 
hinausspähen kann. Jeden Augenblick kann die Äandgranate, kann das 
schwerfällige Geschoß des Minenwerfers herüberfliegen, mitten in die Graben¬ 
tiefe hinein und die gerade dort Weilenden in Stücke reißen. Das ist nicht 
eine Gefahr, die bloß damokleisch über einem hängt und geschehen könnte 
und deshalb, weil sie nicht geschieht, rasch abstumpft, sondern sie geschieht; 
täglich geschieht sie! So harrt denn der Posten, seinem Gott ergeben, der 
allein weiß, ob er die nächste Stunde überleben wird, unerschüttert auf seinem 
Beobachtungsstand; die andern hocken, zur schrecklichen Untätigkeit verdammt, 
in ihren engen Erdhöhlen und — warten, warten, warten, wo es dem 
Feinde belieben wird, den nächsten Angriff hin zu richten. 
Aber auch in den Llnterstandshöhlen ist keine Sicherheit. Leise, aber 
doch deutlich trägt der Erdboden den kratzenden und klopfenden Schall der 
feindlichen Minengräber ans Ohr. Es ist unzweifelhaft, daß irgendwo in 
der Nähe ein unterirdischer Gang an unsere Stellung vorgetrieben wird, un¬ 
zweifelhaft, daß über kurz oder lang von diesem Gang aus eine fürchterliche 
Explosion erfolgen wird, die einen Teil unseres Grabens mit allem, was darin 
ist, in Atome zerschmettern soll. Aber wo das ist und wie nahe, das hört 
man nicht mit Sicherheit. Trotzdem muß man versuchen, selbst einen solchen 
Stollen zu schürfen, in die Flanke des feindlichen, und mit der eigenen 
Sprengung zuvorzukommen. Wird es gelingen, und wer wird der frühere 
sein? Tobt aber draußen Artilleriefeuer, so sichert der Unterstand auch nur 
gegen Schrapnellkugeln und gegen Granatsplitter; gegen einen Volltreffer aus 
schwerem Geschütz sichert er nicht, der kommt doch durch. So haben sie den 
langen, langen Winter zugebracht, im Nebel, Schlamm und Dreck. Dann 
aber erst kam die Zeit, wo alles dies ein Nichts werden sollte gegen die An¬ 
forderungen, die nun an den Mannesmut und die Manneskraft gestellt wurden. 
Es kam die große Angriffsperiode, die dem Gegner hier durchaus den Durch¬ 
bruch bringen sollte. Es kam das Grausen des Trommelfeuers. Durch 
monatelange Aufnahmen der Flieger kennen die Gegner die Lage unserer 
Gräben so vollkommen, wie wir die ihrigen. Wir finden bei den Gefangenen 
und Toten des Feindes genaue Karten davon, auf denen unsere Gräben so¬ 
gar von den Franzosen ihnen zur raschen Verständigung beim Angriff ge¬ 
gebene Namen tragen: Bismarckgraben, Moltkegraben, Potsdamgraben usw. 
Mit der größten Genauigkeit sind auf Grund dieser Kenntnisse die ungeheuren 
Massen feindlicher Geschütze auf diese Gräben so eingestellt, daß sie im Augen¬ 
blick, wo das Zeichen gegeben wird, das Feuer schwerster Kaliber wie den 
Strahl eines Maschinengewehrs daran entlang gleiten lassen können, hin, 
zurück und wieder hin; Punkt neben Punkt, Meter neben Meter sitzt Granate 
an Granate. Das Äöllenchaos, das dann über diese Gräben hereinbricht,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.