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Lesestücke aus der Kriegsliteratur.
brechen, über den niemand ohne Lebensgefahr auch nur eine Sekunde sicher
hinausspähen kann. Jeden Augenblick kann die Äandgranate, kann das
schwerfällige Geschoß des Minenwerfers herüberfliegen, mitten in die Graben¬
tiefe hinein und die gerade dort Weilenden in Stücke reißen. Das ist nicht
eine Gefahr, die bloß damokleisch über einem hängt und geschehen könnte
und deshalb, weil sie nicht geschieht, rasch abstumpft, sondern sie geschieht;
täglich geschieht sie! So harrt denn der Posten, seinem Gott ergeben, der
allein weiß, ob er die nächste Stunde überleben wird, unerschüttert auf seinem
Beobachtungsstand; die andern hocken, zur schrecklichen Untätigkeit verdammt,
in ihren engen Erdhöhlen und — warten, warten, warten, wo es dem
Feinde belieben wird, den nächsten Angriff hin zu richten.
Aber auch in den Llnterstandshöhlen ist keine Sicherheit. Leise, aber
doch deutlich trägt der Erdboden den kratzenden und klopfenden Schall der
feindlichen Minengräber ans Ohr. Es ist unzweifelhaft, daß irgendwo in
der Nähe ein unterirdischer Gang an unsere Stellung vorgetrieben wird, un¬
zweifelhaft, daß über kurz oder lang von diesem Gang aus eine fürchterliche
Explosion erfolgen wird, die einen Teil unseres Grabens mit allem, was darin
ist, in Atome zerschmettern soll. Aber wo das ist und wie nahe, das hört
man nicht mit Sicherheit. Trotzdem muß man versuchen, selbst einen solchen
Stollen zu schürfen, in die Flanke des feindlichen, und mit der eigenen
Sprengung zuvorzukommen. Wird es gelingen, und wer wird der frühere
sein? Tobt aber draußen Artilleriefeuer, so sichert der Unterstand auch nur
gegen Schrapnellkugeln und gegen Granatsplitter; gegen einen Volltreffer aus
schwerem Geschütz sichert er nicht, der kommt doch durch. So haben sie den
langen, langen Winter zugebracht, im Nebel, Schlamm und Dreck. Dann
aber erst kam die Zeit, wo alles dies ein Nichts werden sollte gegen die An¬
forderungen, die nun an den Mannesmut und die Manneskraft gestellt wurden.
Es kam die große Angriffsperiode, die dem Gegner hier durchaus den Durch¬
bruch bringen sollte. Es kam das Grausen des Trommelfeuers. Durch
monatelange Aufnahmen der Flieger kennen die Gegner die Lage unserer
Gräben so vollkommen, wie wir die ihrigen. Wir finden bei den Gefangenen
und Toten des Feindes genaue Karten davon, auf denen unsere Gräben so¬
gar von den Franzosen ihnen zur raschen Verständigung beim Angriff ge¬
gebene Namen tragen: Bismarckgraben, Moltkegraben, Potsdamgraben usw.
Mit der größten Genauigkeit sind auf Grund dieser Kenntnisse die ungeheuren
Massen feindlicher Geschütze auf diese Gräben so eingestellt, daß sie im Augen¬
blick, wo das Zeichen gegeben wird, das Feuer schwerster Kaliber wie den
Strahl eines Maschinengewehrs daran entlang gleiten lassen können, hin,
zurück und wieder hin; Punkt neben Punkt, Meter neben Meter sitzt Granate
an Granate. Das Äöllenchaos, das dann über diese Gräben hereinbricht,