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Beschreibungen und Schilderungen.
Nach den bisher angeführten Thatsachen möchte das Leben auf
den Halligen keineswegs als „behaglich und verlockend“ erscheinen,
und man kann sich beim ersten Anblieke dieser Inseln des herzlichen
Mitleides mit den Bewohnern derselben nicht erwehren. Wenn man
jedoch an einem heiteren Sommertage jenen Leuten einen Besuch
macht, so sieut man recht, wie unabhängig vom Boden Glück und
Zufriedenheit sind, und das Mitleid kommt einem abhanden, man
weiss selbst nicht wie. Unangemeldet ist der Premde willkommen;
denn gastfrei wie alle einsam lebenden Menschen sind die Hallig-
leute.
Wir treten in die kleine Wohnung ein. Hier ist alles eigen-
tümlich, behaglich und im höchsten Grade sauber. Durch die klaren
Pensterscheiben dringt das Sonnenlicht ungetrübt und beleuchtet die
weissgescheuerten Dielen und blanken Geräte. Die Wände sind mit
Kacheln ausgesetzt: das sind gebrannte und mit Glasur überzogene
Steine, die man mit Arabesken oder mit Scenen aus der biblichen
Geschichte bemalt hat. PVine kleine Bũüchersammlung, in welcher die
Bibel nicht fohlen darf, ein Glasschrank mit Porzellan- und Silber-
geschirr, einige Bilder, die an der Wand hängen: kurz alles zeigt
uns statt der erwarteten Armut einen gewissen Grad von Wobl-—
habenheit, besonders auf den grölseren der Halligen. Der Tisch ist
mit sauberem Leinen gedeckt, das Wasser brodelt in dem blanken
messingenen Kessel, gutes Brot, Butter und Käse ist für don Gast
zurecht gestellt. Das Beste aber sind die über den Besueh frohen
Menschen. —
Man sieht sogleieh, dass sie auf ihren Seereison mohr als Geld
erwarben; Erfahrung und eine gewisse ungeschminkte Bildung zeigt
sich sowohl im Urtell als in der Redeweise dieser Leute. Eine
linkische Verlegenheit, die man so oft bei Dorfbewohnern des festen
Landes trifft, isf dem Wesen der Halligleute fremd; sie behaupten
im Gegenteil dem Fremden gegenüber eine bescheidene, freundliche
Sicherheit. Dazu steht ihnen ein gewisser Ernst sehr wobl. Den ge-
selligen Verkehr lieben sie wie ein gutes Buch; sie statten sich gegen-
seitigs gern Besuche auf ihren Wurthügeln ab. Den Gottesdienst in der
Kirche versäumen sie nicht, denn eine ungeheuchelte Frömmighkeit
charakterisiert fast alle. Wenn der Prediger hier auch nur ein sehr
bescheidenes Einkommen hat, so hat er für die Entbehrungen einen
reichen Ersat- in dem leicht zu erwerbenden Zutrauen, der Anhäng-
lichkeit und Läebe seiner Pfarrkinder. In minder kritischen Pälloen
ist hier der Seelenarzt auch Arzt für den Leib, wie zuweilen auch
der Sachwalter; meist ist das Amt des Geistlichen und des Jugend-—
lehrers in einer Person vereinigt.