Full text: Für die Klase IV (Teil 3 = Unterstufe, [Schülerband])

W. O. v. Horn, Drei Tage und zwei Lieder. 
7 
Der Arzt verschreibt etwas und eilt nach Hause. Da steht ein 
Bursche mit einem ledigen, gesattelten Pferde. „Was giebt's?“ fragte 
der Arzt. „Der Schultheiß von Wachau läßt Euch um Gottes willen 
bitten, gleich hinauszukommen. Seine Frau ist gefährlich erkrankt.“ 
Der Doktor schwingt sich auf das ledige Pferd und trabt davon. Es 
war fast nicht durchzukommen. Preußisches Militär nahm die Straße 
ein. Endlich kommen sie vor des Schultheißen Haus an, und der 
Arzt geht an seine Pflicht. Als die Gefahr vorüber ist, muß er an 
der Tafel Platz nehmen, wo eben preußische Offiziere bei der Mahlzeit 
sitzen; denn der Schultheiß hatte auch eine Wirtschaft. Der Doktor 
hatte riesenmäßigen Hunger und hieb tapfer ein. Als der Grund ein 
wenig gelegt war, sagte der vornehmste der Offiziere: „Herr Doktor, 
Sie sind wohl aus Leipzig?“ „Zu dienen,“ antwortete der Arzt und 
schnitt noch ein Stück Bratwurst ab. „Kennen Sie auch den Professor 
und Dichter Gellert?“ Jetzt legte der Doktor Messer und Gabel hin 
und erwiderte: „Ich bin sein Arzt und sein Freund.“ „So? Man hat 
mir gesagt, er sei kränklich.“ „Das ist er leider, sollte eben mehr 
Bewegung haben; habe ihm diesen Morgen gesagt, er solle sich einen 
Gaul kaufen.“ „Und das wird er doch thun?“ „Ja,“ sagte lächelnd 
der Arzt, „das Wollen wäre schon da, aber beim Vollbringen hapert's,“ 
und dabei rieb er den Zeigefinger am Daumen. „Ist Gellert arm?“ 
fragte der Offizier teilnehmend. „Arm, wie eine Kirchenmaus;“ und 
nun erzählte der Doktor alles, was er wußte, namentlich von Neidhardt 
und vom armen Schuster. Der Offizier schlug die Hände zusammen, 
indem er rief: „Und so ein herrlicher Mann kann kein Holz und kein 
Pferd kaufen! Aber, Herr Doktor, lassen Sie mich doch Gellerts Hand— 
schrift und sein neues Lied sehen, von dem Sie sprachen,“ und der 
Offizier las: 
1. Ich hab' in guten Stunden 
des Lebens Glück empfunden 
und Freuden ohne Zahl: 
so will ich denn gelassen 
mich auch in Leiden fassen; 
welch Leben hat nicht seine Qual? 
3. Dir will ich mich ergeben, 
nicht meine Ruh', mein Leben 
mehr lieben als den Herrn; 
dir, Gott, will ich vertrauen 
und nicht auf Menschen bauen. 
Du hilfst und du errettest gern. 
2. Ja, Herr, ich bin ein Sünder, 4. Laß du mich Gnade finden, 
und stets strafst du gelinder, mich alle meine Sünden 
als es der Mensch verdient. erkennen und bereun; 
Will ich, beschwert mit Schulden, jetzt hat mein Geist noch Kräfte, 
kein zeitlich Weh erdulden, sein Heil laß mein Geschäfte, 
das doch zu meinem Besten dient? dein Wort mir Trost und Leben sein. 
Meyer u. Nagel, Deutsches Lesebuch für Realschulen. Ausg. B. Teil UI.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.