Full text: [Obertertia, [Schülerband]] (Obertertia, [Schülerband])

Ludwigsburg eine außerordentliche Röte am Himmel, und als der 
Wagen in die Linie der Solitüde kam, zeigte das daselbst an einer 
bedeutenden Anhöhe liegende Schloß mit allen seinen weitläufigen 
Nebengebäuden sich in einem Feuerglanze, der sich in der Entfernung 
von anderthalb Stunden auf das überraschendste ansnahm. Die reine, 5 
heitere Luft ließ alles so deutlich wahrnehmen, daß Schiller seinem 
Gefährten den Punkt zeigen konnte, wo seine Eltern wohnten; zugleich 
rief er, von tiefer Bewegung ergriffen: „Meine Mutter!" — 
Nach E. Palleskc. 
42. Raffael. 
i. 
as Jahr 1483 ist ein besonders wichtiges in der Ge¬ 
schichte. Zwei Männer erblickten in demselben das 
Licht der Welt, denen an Bedeutung wenige andere 
gleichkommen. Es sind dies der große deutsche Reformator 
Luther und Raffael, jener unvergleichliche Maler. Im sonnigen 5 
Süden, in Urbino am Südostrand der Apenninen, stand die 
Wiege des großen Künstlers. In diesem kleinen Städtchen 
verlebte er seine Kindheit. In frühester Jugend hatte er das 
Unglück, seine Eltern zu verlieren, sie starben schnell hinter¬ 
einander. An der Schwelle des Jünglingsalters kam Raffael 10 
nach Perugia zu Pietro Vanucci, genannt il Perugino, dem 
Haupt der umbrischen Malerschule. 
Schon jetzt, während seiner Lehrzeit, zeigte Raffael her¬ 
vorragende Begabung. Verschiedene Madonnenbilder, die 
damals entstanden, bilden eine Zierde des Berliner Museums. 15 
Ein Kunstwerk ersten Ranges vollends ist das 1504 entstandene 
Gemälde „Die Vermählung der Jungfrau Maria", italienisch 
lo sposalizio genannt. Dieses allein würde hinreichen, den 
Namen Raffael unsterblich zu machen. Auf dem Hintergrund 
des Bildes erblicken wir einen Rundbau, der den Tempel in 20 
Jerusalem darstellen soll. An diesem Gebäude befindet sich 
die Inschrift Raffael Urbinas MDI1II. Im Vordergründe stehen 
Maria und Joseph, jugendlich schlanke, schöne Gestalten. 
Zwischen ihnen befindet sich der Hohepriester, ein ehrwürdiger 
Greis mit lang herabwallendem Bart; er ist im Begriff, die 25 
Hände der beiden Liebenden zu vereinigen. Im Arm hält
	        
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