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kannter Schillers — in Mannheim sehr lebhaft nach ihm fragte, ge¬
rieten der Dichter und seine Freunde so in Furcht, daß man ihn eine
Nacht im Palais des Prinzen von Baden verborgen hielt. Und nun
versagte alle Hoffnung.
Da entschloß er sich, in das Asyl zu flüchten, das ihm die Mutter
eines jüngern Zöglings der Akademie, seine Freundin Henriette von
Wolzogen, auf ihrem Gut in Vauerbach bei Meiningen für den schlimm¬
sten Fall schon längst angeboten hatte. Er verkaufte an Schwan den
Druck des „Fiesko". Der Ertrag genügte gerade, um die Kreidestriche
an der schwarzen Wirtstafel zu Oggersheim zu löschen, sich etwas aus¬
zustatten und ein geringes Reisegeld nach Vauerbach mitzunehmen. Die
Freunde holten ihn in Oggersheim ab, um ihn bis Worms zu begleiten.
Sie fanden ihn, da die Entscheidung nun einmal eingetreten war, mutig
und gefaßt. Im Posthause zu Worms sahen sie von einer erbärmlichen
Schmiere „Ariadne auf Naros" dargestellt. Die Schauspieler lachten und
spotteten; aber Schiller, ernster Gedanken voll, sah alles mit tiefem,
ruhigem Blick. Wenig bedeutete ihm die ärmliche Erscheinungsform vor
dem Bilde der Kunst, das er innerlich sah in seiner Phantasie, und
noch in seiner dürftigsten Darstellung war es ihm heilig.
Lärmend und fröhlich nahmen die Schauspieler, mit einem langen,
stummen Händedruck nahm Streicher von ihm Abschied. Und als er
nun leichtbekleidet hinausfuhr in die furchtbare Kälte — es war der
30. November —, da hielten die nach Mannheim zurückkehrenden Welt¬
menschen sich auf über den unverzeihlichen Leichtsinn des jungen Dichters.
Warum war er nicht in Stuttgart, warum nicht Arzt geblieben? Sie
gaben ihn halb verloren. Nur Jffland hatte Worte der Verteidigung.
Und Streicher schrieb nach all den langen Jahren: „Noch heute er¬
füllt es ihn mit Trauer, wenn er an den Augenblick zurückdenkt, in
dem er ein wahrhaft königliches Herz, Deutschlands edelsten Dichter,
allein und im Unglück hatte zurücklassen müssen." Streicher selbst, der
nun nicht mehr nach Hamburg konnte, kämpfte sich in Mannheim durch.
Der Ertrag an Lebenskenntnis, den diese Zeit Schiller gebracht
hat, ist ausgesprochen in den Worten seines ersten Briefes an Streicher
aus Bauerbach: „Was Sie tun, lieber Freund, behalten Sie diese
praktische Wahrheit vor Augen, die Ihren unerfahrenen Freund nur
zuviel gekostet hat: wenn man die Menschen braucht, so muß man ein
Hundsfott werden oder sich ihnen unentbehrlich machen. Eines von
beiden, oder man sinkt unter."