Full text: Siebentes Schuljahr (Teil 6, [Schülerband])

Er rief deshalb seinen Knecht und sagte ihm, was er tun sollte. Dieser, 
ein vorwitziger Gesell, hatte schon lange Begehren getragen, das sonder¬ 
bare Männlein, darüber man im Dorfe die wunderlichsten Dinge er¬ 
zählte, zu sehen, und ging eilfertig in die Scheune, wo er das Wicht¬ 
lein schon wartend antraf. Als er ihm den Halm nun darreichte, 
konnte er sich nicht enthalten, das kleine Geschöpf wie zufällig ein wenig 
mit den spitzen Grannen der Ähre ins Gesicht zu kitzeln, also daß es 
sehr prustete und wunderliche Gesichter zog. Darüber wollte sich der 
Knecht vor Lachen innerlich ausschütten. Als er nun aber sah, wie 
der kleine Mann mit schwerem Gestöhn den Halm auf die Schulter 
wuchtete und unter Schnaufen davonschleppte, da erschien ihm solches 
dermaßen lächerlich, daß er sich nicht enthalten konnte, zu rufen: „Nun 
sieh einer das Krabauterding, wie es sich hat, als wenn der Halm ein 
Bindebaum wäre!" Sodann schlug er mit den Händen mehrfach auf 
die Kniee seiner Lederhose und lachte unbändig. Zwischendurch aber 
rief er, wie die Zimmerleute tun, wenn sie schwere Balken bewegen: 
„Holz komm! Holz komm!" und höhnte das Männlein auf alle Weise. 
Dies aber ward im Gesicht so blutrot wie seine Mütze und warf 
zornig funkelnde Blicke um sich. Es schleppte, so rasch es vermochte, 
den Halm in das Loch hinein, und an dem hastigen Hin- und Her¬ 
fliegen des vorstehenden Endes konnte man wohl bemerken, mit welcher 
Wut es inwendig zog und zerrte, bis der letzte Zipfel verschwunden war. 
4. 
Am andern Tage, als der Bauer selbst kam, um dem Wichtlein 
die Gerstenähre zu geben, wartete er vergebens: es erschien niemand. 
Er rief es mit schmeichlerischen Worten und gab ihm die schönsten 
Namen, allein alles war umsonst. Auch am folgenden Tage kam es 
nicht, und so oft auch der Bauer um die Mittagszeit noch sein Heil 
versuchte, das Männchen war und blieb verschwunden. 
Wie oft hat es der Bauer noch bereut, daß er damals nicht selbst 
gegangen ist und seinem Knecht vertraut hat; denn von nun ab ging 
alles quer. Das Vieh stand an den Raufen und fraß und fraß Berge 
von Futter in sich hinein, und wenn alles verschlungen war, sah es 
sich mit glühenden, hungrigen Augen nach mehr um. Da ward es 
jedoch immer rauher und magerer; die Kühe gaben wenig dünne und 
blaue Milch, und den Pferden standen die Hüftknochen also vor, daß 
der Knecht seinen Hut dort hätte anhängen können, wenn er gewollt 
hätte. Die Schweine wurden hochbeinig und dünn, und wenn sie ein¬ 
mal aus dem Stall gelassen wurden, da rannten sie wie die Wind-
	        
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