Full text: Prosa (Teil 8, [Schülerband])

Jean Paul hat Capri mit einer Sphinx verglichen; mir kam die 
schöne Insel, wenn ich sie vom Festland betrachtete, wie ein antiker 
Sarkophag vor, dessen Seiten schlangenhaarige Eumeniden schmücken, 
darinnen aber liegt Tiberius. Und so reizte mich dies klassisch geformte 
Eiland immerdar durch seine Gestalt, durch seine Einsamkeit und die 
düstern Erinnerungen an jenen Kaiser Roms. 
An einem Sonntag, es war die heiterste Frühe, stiegen wir in 
Sorrento in die Barke und ließen uns nach Capri hinüberrudern. Das 
Meer war so still wie der Himmel, und alles in weiter Ferne in 
träumerischem Duft verloren; aber Capri stand vor uns, groß und ernst, 
klippenstarr und felszackengepanzert, in der melancholischen Wildheit 
seiner Berge und in der Schroffheit der steilen Kalkwände von roter 
Farbe, fürchterlich und lieblich zu gleicher Zeit. Auf den Höhen braune 
Kastelle, nun zerfallen; verlaßne Strandschanzen mit verrosteten Kanonen, 
die schon der Ginsterstrauch mit gelben Blumenästen überdeckt; Klippen, 
wild und schartig, in den Äther hinausgreifend und von Seefalken 
überflattert, „vogelheimisch und sonngewohnt", wie Äschylus sagt; Höhlen 
tief unten, dämmervoll und märchenhaft; aber oben auf dem gebognen 
Rücken des Eilandes ein heitres Städtchen mit weißen, gewölbten Häusern, 
mit hohen Mauern und einer Kirchenknppel; unten an der schmalen 
Marina der Hafen der Fischer und viele aufgereihte Barken. 
Die Glocken läuteten eben und verhallten, da wir an den Strand 
fuhren; auf dem Ufer aber stand ein Fischermädchen, die Holzbank 
haltend, die sie gleich in die Wellen hineinschob, als das Boot 
landete, damit wir trocknen Fußes ans Land kämen. Wie ich ans 
Ufer sprang, auf dies seltsame Capri, das ich mir im Norden so oft 
vorgestellt hatte, fühlte ich mich gleich wie zu Hause. Alles war still 
und verschwiegen, kaum ein Fischer war zu sehn, nur ein paar badende 
Kinder an einer Klippe, ein paar Fischermädchen am Ufer, die Felsen 
rings umher ernst und still. In eine wilde und zauberische Einsiedelei 
war ich eingetreten. Und nun ging es von der Marina gleich aufwärts 
auf einem steilen und mühsamen Pfade zwischen Gartenmauern nach 
der Stadt Capri. 
Tritt man in sie hinein, über eine hölzerne Brücke und durch das 
alte Tor, so hat man gleich das ursprünglichste Bild von Frieden, Be¬ 
dürfnislosigkeit und Kindlichkeit vor sich. Denn dort sitzen ans den 
steinernen Stufen der Kirche auf einem ganz kleinen Platz Bürger in 
ihren Festkleidern und plaudern; hier spielen Kinder mit lärmender 
Fröhlichkeit, und der Platz selbst sieht aus, als hätten sie ihn im Spiel
	        
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