Full text: Prosa (Teil 8, [Schülerband])

I 
Zum ersten Versuch in der Reimkunst begeisterte den zehnjährigen 
Schiller der Lohn von zwei Kreuzern, den er sich verdient hatte. Mit 
einem Freunde, der die gleiche Belohnung erhalten hatte, pilgerte er 
aufs Land und erhielt die saure Milch, die er auf dem alten benach¬ 
barten Schlößchen Harteneck vergebens gesucht hatte, nach langem Fragen 
im nächsten Dorf Neckarweihingen in reinlicher Schüssel mit silbernen 
Löffeln und für die kleine Barschaft noch Johannistrauben dazu. Auf 
dem Heimwege kehrte sich Schiller auf der Anhöhe, die den Überblick 
über beide Orte gestattete, um, und seine Lippen ergossen sich in einen 
gereimten Segen über den Ort, der sie so milde gespeist hatte. 
Die Ablegung seines Glaubensbekenntnisses, die in Württemberg 
gewöhnlich gegen das vierzehnte Jahr bei der evangelischen Jugend 
stattfindet, fiel bei Schiller gewiß nicht in das Jahr 1770 oder gar 
früher, sondern nicht eher, als er im Jahre 1772 seinen Lehrgang in der 
lateinischen Schule zu Ludwigsburg geendet hatte, und die Eltern können 
dieser Feierlichkeit sehr wohl von der Solitude aus, wo der Vater schon 
über die herzogliche Baumschule gesetzt war, beigewohnt haben; denn 
eine schnurgrade Kunststraße führte damals von dem Lustschlosse in zwei 
bis drei Stunden nach jener Residenz. Vielleicht war die Mutter auch in 
Ludwigsburg wohnen geblieben. Sie, die noch immer still und unbe¬ 
merkt über der Seele ihres Sohnes wachte, soll diesen den Tag vor 
der Einsegnung auf der Straße herumschlendernd bemerkt und ihm 
über seine Gleichgiltigkeit gegen die wichtige Handlung des folgenden 
Tages Vorwürfe gemacht haben. Gerührt zog sich der Knabe zurück 
und überreichte nach wenigen Stunden, nach der einen Sage der 
Mutter ein deutsches, nach der andern dem Vater ein lateinisches Ge¬ 
dicht, das seine frommen Empfindungen in Worte kleidete. 
Schillers Neigung war noch immer dem geistlichen Berufe 
zugewandt, und er stand nun im Begriff, in eine der vier niedern 
Klosterschulen des Landes einzutreten und hier in mönchischer Kleidung 
und Zucht, die diesen Bildungsanstalten noch aus der katholischen 
Zeit geblieben waren, vier Jahre lang sich auf das Universitätsstndium 
unter strengem Unterricht vorzubereiten. Aber es war anders mit ihm 
beschlossen. 
Gustav Schwab.
	        
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