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mechanische Kräfte so innig verbunden, daß es nicht immer möglich ist, genau
zu unterscheiden, welcher Anteil dem einen, welcher dem andern Faktor zu¬
geschrieben werden solle. Eine rein mechanische Wirkung des Wassers, die
trotz der äußersten Einfachheit des Vorganges doch die seltsamsten Terrain¬
formen mit sich bringt, ist die Bildung der sogenannten Erdpyramiden
oder Erdpfeiler, die zwar an verschiedenen Punkten auftreten, zuerst aber
und wohl auch am schönsten auf dem Ritten bei Bozen beobachtet worden
sind. In den Thälern des Katzenbachs und des Finsterbachs sieht man Hun¬
derte von schlanken, meist nach allen Seiten frei stehenden Pfeilern, die aus
einem ziemlich festen rötlichen Thone bestehen und auf ihren Spitzen meist
je einen großen Steinblock tragen. Die Höhe dieser seltsamen Gebilde steigt
bis zu 30 m an, an der Basis haben sie meist eine steil pyramidale, oben
schlank kegelförmige Gestalt. Die Entstehung dieser vielbewunderten „Mandeln"
<Männchen) ist sehr einfach; ein Blick auf die Gehänge des Thales zeigt,
daß sie aus genau demselben rötlichen Thon bestehen wie die „Mandeln",
und daß diesem in bedeutender Menge ganz unregelmäßig Steine und große
Blöcke beigemengt sind. In dieses Material haben die Bäche ursprünglich
ganz schmale, tiefe Kanäle eingegraben, deren Erweiterung und sanftere
Böschung der Wirkung des von den Wänden ablaufenden Regenwassers zu¬
zuschreiben ist, das den Thon allmählich wegschwemmte. Dabei bildeten nun
auf der Oberfläche liegende oder im Laufe der Denudation (Entblößung)
allmählich aus der umhüllenden Masse hervortretende größere Blöcke ein
schützendes Dach für die ihnen unmittelbar zur Unterlage dienenden Teile
des Thones; diese bleiben als Pfeiler stehen, während die ganze Umgebung
ausgewaschen wird, und so ruhen diese großen Porphyr- und Granittrümmer
durch die Jahrtausende andauernde Einwirkung des Regenwassers endlich auf
mitunter turmhohen Säulen, deren Seiten durch die kleineren der Masse ein¬
gelagerten Steine häufig eine eigentümliche Kannelierung erhalten.
Die Erzeugung solcher phantastischen Formen ist aber nicht nur auf
diese Fälle beschränkt, sondern sie ist sehr allgemein verbreitet, wo einzelne
Partien eines Gesteins durch größere Widerstandsfähigkeit ihrer Umgebung
gegenüber ausgezeichnet sind. Säulen, Nadeln, Obelisken, pilzförmige Ge¬
bilde, kurz eine Menge der bizarrsten Formen wittern auf diese Weise aus
ihrer Umgebung hervor. Oft haben sie ganz riesige Dimensionen, wie z. B.
die „Kathedralenklippen" in Colorado un westlichen Nordamerika, während sie
in anderen Fällen nur eine sehr bescheidene Größe erreichen. Im allgemeinen
sind jedoch solche Erscheinungen in trockenen und regenarmen Gegenden häufiger
als in feuchten, und ganz besonders ist die gewaltige Einsenkung, die in
Nordamerika zwischen der Sierra Nevada und den Rocky Mountains liegt,
durch die Menge solcher Felsgebilde ausgezeichnet; ein Strich hat infolge der
gewaltigen Zahl derselben den Namen „Monumentalpark" erhalten; ein anderes
derartiges Gebiet am Ostfuß des Felsengebirges wurde als Göttergarten be¬
zeichnet. Die härteren Partien von grellrotem Sandstein starren dort in so
seltsamen Formen aus dem Boden, daß es begreiflich ist, wenn die Indianer