Full text: [Siebenter Teil = 3. Klasse, [Schülerband]] (Siebenter Teil = 3. Klasse, [Schülerband])

haben, gibt das Zeichen zum Beginn durch den Zuruf: „Fanget an!" „Also 
machet der Singer den Anfang, und wann eine Gesamtstrophe vollbracht 
ist, hält er innen, bis der Merker wiederum schreiet: „Fahret fort!" Nach 
geendigtem Gesang begibt sich der Singer vom Stuhl und macht einem 
andern Platz." Denn es ist ein Wett- oder Preissingen. Wer nach der 
Merker Urteil die andern „übersungen", d. h. wer sich die wenigsten 
Verstöße gegen die Tabulatur hat zuschulden kommen lassen oder gar 
„glatt (fehlerlos) gesungen", dem wird das „Gehäng" zugesprochen. Es 
ist dies eine Halskette oder Halsschnur mit schonen silbernen und ver¬ 
goldeten Schaupfennigen. Die schönste derselben trug in Nürnberg das 
Bild des königlichen Sängers David mit der Harfe, weshalb das Kleinod 
auch „der David" benannt war. Wer nächst dem „Davidsgewinner" am 
besten gesungen hatte, erhielt einen Kranz von seidenen Blumen, den er 
(wie der erstere seinen Halsschmuck) tragen durfte. Außer diesen beiden 
Wanderpreisen, deren Erwerb den Meistersingern für die höchste Ehre galt, 
gab es noch andere Preise; denn „des Tages, wenn man Schul' gehalten, 
ist gebräuchlich, daß die Gesellschaft der Singer eine ehrbare, ehrliche, 
friedliche Zech' halte". Bei dieser Zeche, die natürlich außerhalb der 
Kirche stattfand, mußte ein jeder sein Gewehr von sich tun. Alles Spielen, 
unnützes Gespräch und überflüssiges Trinken waren verboten. Hier sang 
man um einen „Zechkranz" oder um andere, von Gönnern der holdseligen 
Kunst gestiftete Preise, um Geld, um zinnene Trinkgeschirre u. a. Die 
Merker saßen an einem besonderen Tische. Von den „gemeinen Sing¬ 
schulen" unterschieden sich die „Festschulen" an den drei hohen christlichen 
Festen durch besondere Feierlichkeit. 
Daß der Meistergesang im allgemeinen große dichterische Leistungen 
nicht gezeitigt hat, kann niemand in Verwunderung setzen. Wer die 
Dichtung wie das Handwerk für etwas Erlernbares hält, muß ja ihr 
innerstes Wesen völlig verkennen, und wer die schöpferische Phantasie in 
unverbrüchliche, ewig geltende Satzungen einzuzwängen sich vermißt, muß 
ihr Gewalt antun. Ein wahres, frisches und kräftiges Talent muß über 
die engen Schranken der „Tabulatur" hinausstreben. Der Gewinn, der 
unserer Literatur aus dem Meistergesang erwuchs, ist gewiß nicht allzu¬ 
hoch anzuschlagen; für die Entwicklung unseres Volkslebens aber ist er 
hochbedeutsam gewesen. Der Meistergesang ist trotz allen seinen Irrtümern 
ein Ehrendenkmal deutschen Bürgertums. Die Beschäftigung mit der 
Sangeskunst wirkte als ein heilsames Gegengewicht gegen den Materialis¬ 
mus des gewerblichen Schaffens und des sinnlichen Lebensgenusses. Sie 
erzeugte in dem Handwerker jene schöne Feiertagsstimmung, die ihn die 
Sorgen und Händel des Werktages vergessen ließ, seinen Geist und Sinn 
in eine höhere Welt erhob. Bibel und Weltchronik wurden ihm vertraut, 
und seine Seele füllte sich mit neuen Bildern und erhabenen Gedanken. 
Wie die Meister einer Zunft jeden „Unredlichen" aus ihrer Gemeinschaft
	        
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