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Südländers zusammenschnürt. Alles Leben, das diesen Ort mit der Außen¬
welt verbindet, schwimmt auf dem Meere zu ihm. An dem kleinen Hafen
konzentriert sich daher das Interesse der Stadt. Russische Fahrzeuge kommen
in großer Zahl vom Weißen Meere und bringen in der Regel Mehl,
um Stockfische dafür einzutauschen. Trifft aber der Postdampfer oder
eins der vornehmen Touristenschiffe ein, so ist das das Hauptereignis
des Tages. Jung und alt versammelt sich am Hafen, und die hübschen
Töchter der Stadt rudern neugierig dem Schiffe entgegen.
/ Kleine ein- bis zweistöckig gebaute Holzhäuschen, die man zum
Aufstellen fertig aus Bergen oder Christiania beziehen kann, bilden die
Straßen; zuweilen sind sie statt mit Schindeln mit einer Erdschicht gedeckt,
sauf der ein dichter Grasteppich wuchert. So einfach sie ausschauen, so
verraten doch vielfach die feinen Vorhänge, die spiegelnden Scheiben, die
wertvollen Blumen hinter ihnen, daß in den Zimmern Wohlhabenheit und
Geschmack zu finden ist. Ein starker Bach, der von dem Plateau hinter
der Stadt in felsiger Rinne herniederrauscht, hat die bequeme Gelegenheit
zur Anlage eines Elektrizitätswerkes gegeben, das Wohnungen und Straßen
mit glänzender Beleuchtung versieht; ein Umstand, dessen Bedeutung an
einem Orte auf der Hand liegt, wo dem zweieinhalbmonatigen Mitt¬
sommertage natürlich im Winter eine ebenso lange Mittwinternacht entspricht.
Auch Hammerfests kleine graue Häusermasse verschwindet hinter uns
im Labyrinth seiner Felsen; nur noch wenige Stunden Fahrt am brandung¬
umtosten Küstenrande, und der nördlichste Vorsprung unseres Erdteils,
das Nordkap, liegt vor uns. In einer einzigen düstergewaltigen Mauer
steigt das mächtige Vorgebirge beinahe senkrecht aus den Fluten empor
zu einer Höhe von etwa 300 Meter. Wie die äußerste Kante eines
gigantischen Festungsbaues drängt es sich in das einsame Eismeer hinaus,
als müßte es ein Bollwerk gegen seine Fluten bilden. Es ist einer der
großen Momente des Lebens, oben auf seiner glatten öden Flüche zu
stehen und den Blick hinauszusenden auf die unendliche, dunkelfarbige
Meerflut, auf der uns kein Gegengestade mehr grüßt, wo keine dauernde
menschliche Wohnstätte mehr liegt, und wo, unsichtbar und doch gefühlt,
die geheimnisvollen Eisgefilde des Nordpols sich ausdehnen.
Doch das Ende des Erdteils ist keines für unsere Wanderlust.
Weiter nach Norden trügt uns der Kiel unseres Schiffes, der mit ein¬
förmigem Rauschen jetzt die Fluten des Eismeeres zerteilt. Hinter uns
versinken die letzten Felsengipfel Norwegens, wir schwimmen auf einem
Meere, das den Menschen nur als flüchtigen Gast während weniger
Sommermonate duldet. Vögel, wie wir sie noch nicht gesehen, um¬
schwärmen unser Schiff in Scharen: der wunderliche Papageientaucher
mit seinem übergroßen, gelb und rot gestreiften Schnabel, kleine fette Alke,
die sich flatternden Flügelschlages aus den Wellen erheben, wenn wir
ihnen nahen, und vor allem der Künder des Eises, der Mallemuck oder