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aber sind bis in die Eingeweide hinein überzeugt, daß in diesem Präparat
kein Vitriol enthalten sei. „Kauft also," ruft der große Philosoph,
„profitiert von diesem höchst ökonomischen, genießbaren, unschuldigen und
einzigen Grasso Lucido, das Schächtelchen nur zu 13 Bajocchi. Sagte
ich 13? Nein, nehmt es für 12. Sagte ich 12? Seht, ich gebe es für 10."
Um zu beweisen, daß der Grasso Lucido alle ledernen Dinge blank
mache, und zwar ohne Anstrengung, nimmt er zuerst ein Stück Papier und
wichst es mit der größten Gemächlichkeit und mit einem Lächeln des Wohl¬
behagens. Dann ergreift er einen Jungen und wichst ihm unter beständigem
Deklamieren einen Stiefel. Der Junge strahlt im Antlitz vor Freude,
denn es ist ihm noch nicht passiert, daß ihm jemand die Stiefel gewichst
hat, noch hat er überhaupt, solange er lebt, gewichste Stiefel getragen.
„Seht," sagt der Professor, „dieser Stiefel war eben erst gleichsam der
Stiefel eines Schweins, und jetzt erglänzt er wie das reinste Silber, ja,
ein kaum gebornes Kind könnte ihn mit leichter Mühe blank machen."
Der Junge geht mit einem gewichsten und einem ungewichsten Stiefel von
dannen, und drei Straßen entlang läßt er kein Auge von seinem blanken
Stiefel und scheint sich und sein Glück darin zu spiegeln. Dank sei dem
Grasso Lucido!
109. Gin Stiercjefecbt in ßöadrid. Von Helmut Grafen ffiolthe.
Wanderbuch. 4. Auflage. Berlin 1879. 8. 151.
Oktober 1846.
film Tage nach meiner Ankunft in Madrid fand ein großes Stiergefecht
statt. Um drei Uhr nachmittags begab ich mich nach der kreisrunden
Arena; zwölftausend Menschen waren da versammelt, um die Stierkämpfe
zu schauen. Wie in den antiken Theatern erheben sich etwa zwanzig
steinerne Stufen, auf welchen man sitzt, und darüber noch zwei Reihen
Logen, in der Mitte die der Königin. Der innere, ganz freie Raum, der
eigentliche Kampfplatz, ist von den Zuschauern durch eine ringförmige etwa
zwei Meter hohe Barriere von Balken und starken Planken getrennt.
Ein kleiner Auftritt macht es möglich, sich aus der Arena über diese Wand
zu schwingen, wenn der Fußkämpfer dem Stier nicht anders mehr aus¬
weichen kann.
Nach einigem Harren öffnete sich eine Pforte, und herein ritt der
Alguazil, eine Obrigkeitsperson in altertümlicher Tracht, welcher den Anfang
des Spiels verkündet; er wurde einmütig ausgezischt, ausgelacht und aus¬
gepfiffen, warum, weiß ich mcht. Er mochte sein Schicksal wohl schon
im voraus wissen und schien sich wenig daraus zu machen. Wie die
Römer im Zirkus ihre Konsuln verhöhnten und auf ihre Kaiser schimpften,
so hat beim Stiergefecht auch das spanische Volk einige Zügellosigkeit frei.
Jetzt traten die Chulos ein, zu Fuß, mit bunten Mänteln über dem Arm;