Die Industrie wird dann ihren Sitz an den Bergen haben, wo die
Talsperren das jetzt unbenutzte, verheerende Wildwasser stauen, und gar
manches wird anders sein müssen als in unseren Tagen. Wer weiß, ob
nicht ein Örtlein, klein und unberühmt, dann einen großen Namen trägt,
weil es ein großes Wasserbecken sein nennt. Wer aber sagt, ob gerade
dann, wenn dieser Ort sich rühmt, seinesgleichen nicht Zu haben auf
dem Erdball, ob nicht dann die Sonne einem uns unbekannten Natur¬
gesetze folgen und der Erde ihre Huld entziehen muß und alle Pracht
unter Eis setzt? Drei Eiszeiten vernichteten blühende Erdteile. Dreimal
vergletscherten sie. Das reden die Steine. Ob solcher Kältejammer
wiederkehren kann? Niemand vermag es zu verneinen. Zu welcher
Stunde er naht? Auch da keine Antwort. Die Steine reden nur von
vergangener Zeit; über die Zukunft schweigen sie — wie Steine.
117. Hus der Melt des unendlich Kleinen.
Von p. Grüner.
Naturwissenschaftliche Zeitfragen. 2. Heft. Hamburg 1908. 8. 4.
ein Schneeflöckchen, im kalten Nordwinde fortgewirbelt, fetzt sich auf
unseren Rock nieder. Ein Stäublein ist's, an dem wir achtungslos
vorbeigehen; in wenigen Sekunden wird es verschwunden sein. Aber
nehmen wir uns Zeit, dieses flimmernde Ding zu betrachten, es auf
kalter, schwarzer Tafel unter ein starkes Vergrößerungsglas zu legen!
Welch ein Kunstwerk enthüllt sich unserem Auge! Überall heften sich
die kleinen, glitzernden Eisblättchen aneinander, scheinbar regellos liegen
sie da, und doch prägt sich immer dasselbe Gesetz in ihrer Anordnung
aus, immer wieder dieselbe Symmetrie, aus dem Ganzen ein prächtiges
Strahlengebilde erzeugend. Tausende von Schneekristallen mögen wir
betrachten, alle weisen immer auf dieselbe sechsstrahlige Grundform zurück,
aber keines ist dem andern gleich. Kein Zufall hat diese Kristallblättchen
aneinandergefügt, sondern ein unveränderlicher Gedanke hat die Entstehung
dieser mannigfaltigen Miniaturgebilde geleitet.
Ein Hälmchen liegt am Boden, wie deren Hunderte und aber
Hunderte vom schweren Schritte des geschäftigen Menschen geknickt und
zertreten werden. Aber wenn wir die Mühe nicht scheuen, ein Stücklein
dieses Halmes aufzulesen und unter dem Mikroskope prüfend zu erforschen,
so offenbart sich uns ein wohlausgeführter Bau. Zimmer reiht sich an
Zimmer, getrennt durch zarte und doch widerstandsfähige Wände. Kleine
Türen verbinden einzelne dieser Räume, während langgestreckte Gänge
in kunstvoller Weise das Gebäude durchziehen. Es sind die Zellen, aus
denen das zarte Pflänzlein sich aufbaut, und in welchen sein eigentliches
Leben pulsiert. Einige hundert solcher Zellen können auf einen Milli¬
meter nebeneinander gelegt werden, und doch ist jede derselben ein eigenes,